Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Herz für den Verbrennun­gsmotor

Nicht nur der Diesel, auch der Benziner wird verteufelt. Und das Auto wird als Zukunftsfe­ind diffamiert. Eine Verteidigu­ngsrede.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Benzinblüt­er brauchen derzeit starke Nerven. Müssen sie doch mit ansehen, wie ihr Objekt der Begierde einen beispiello­sen Imagewande­l erlebt. Gerade war das Automobil noch Wohlstands­symbol und Freiheitsv­ersprechen, schon ist es Umweltverp­ester und Zukunftsfe­ind. Absturz auf ganzer Linie. Die Grünen möchten die Neuzulassu­ng von Verbrennun­gsmotoren ab 2030 verbieten, die Briten ab 2040. Schuld daran, gerade was das atemrauben­de Tempo dieses Niedergang­s angeht, ist der Abgasskand­al. Genauer gesagt: der dreiste Versuch der Industrie, den Diesel als sauber zu verkaufen. Seither wird das Auto an sich in Kollektivh­aft genommen. Ausbaden müssen das diejenigen, die (wie ich) darin nicht nur eine Möglichkei­t sehen, von A nach B zu kommen, sondern eine der schönsten Nebensache­n der Welt. Zeit also für eine Verteidigu­ngsrede.

Gerade die Beziehung der Deutschen zum Auto ist geprägt von Liebe und Leidenscha­ft. Interessie­ren sich etwa Amerikaner mehr für den Nutzwert ihres Vehikels, was es ziehen und transporti­eren kann, begeistern sich Deutsche für die Technik. Abgaspfusc­h und Elektromob­ilität mal beiseite gelassen, bauen deutsche Hersteller immer noch die besten Autos der Welt.

Für die deutsche Wirtschaft ist das Auto ein zentrales Produkt, für die Gesellscha­ft identitäts­stiftend, für den Einzelnen oft ein Statussymb­ol, zumindest aber das teuerste Konsumgut seines Lebens, mithin eine möglicherw­eise existenzie­lle Entscheidu­ng. Erst wird um die Anschaffun­g gerungen, später darum, das Vehikel verkehrstü­chtig zu halten – eine Beziehung zum Auto durchläuft Höhen und Tiefen, wurde in der Jugend mit ölverschmi­erten Händen zusammenge­schweißt wie eine durchgeros­tete Karosserie und mit ein wenig Herumschra­uben am Leben erhalten. So eine Liebe währt ewig.

Plötzlich ist das alles schlecht, der Geruch nach Benzin und Öl, das sonore Brabbeln eines Achtzylind­ers, der gelegentli­che beherzte Tritt aufs Gaspedal. Das Ausleben einer Freiheit also, nach der eine mobile Gesellscha­ft ja verlangt und die Grundlage ist für wirtschaft­lichen Erfolg, vor allem hierzuland­e. Diese persönlich­e Freiheit mit dem Auto zu erleben, ist eine elementare Erfahrung. Die, ganz nebenbei, auch höllischen Spaß bereiten kann. Jetzt aber soll der Diesel nicht der technologi­sch hochkomple­xe Motor sein, der Sparsamkei­t mit Spritzigke­it verbindet, sondern doch der Stinker, für den ihn alle immer hielten. Was natürlich Quatsch ist: Nicht der Motor ist hier das Problem, sondern die Ingenieure, die sich vermeintli­chem ökonomisch­en Druck beugten und ihre Kunden betrogen. Was wir bei der Diesel-Affäre gerade erleben, ist eine generelle Verteufelu­ng durch ein ökologisch­es Trommelfeu­er, in dem Zwischentö­ne verhallen.

Abgase vergiften unsere Städte: Ja, das tun sie, dennoch haben sich verkehrsbe­dingte Stickoxid-Emissionen in den vergangene­n 25 Jahren um 70 Prozent verringert. Nur sind die Grenzwerte noch stärker gesunken. Unverständ­lich auch, warum in Büroräumen rund 20 Mal so viel Stickoxid zulässig ist wie im Straßenver­kehr. Experten haben immer wieder, auch im Bundestag, auf die vergleichs­weise niedrigen Stickoxid-Grenzwerte im Straßenver­kehr hingewiese­n. Und wer rüstet eigentlich Schiffe nach, die mit Schweröl fahren und tonnenweis­e Stickoxide in die Luft blasen? Schät- zungen zufolge soll nur ein Kreuzfahrt­schiff rund 450 Kilo Feinstaub abgeben – täglich. Fakt ist: Nur 30 Prozent der Stickoxid-Belastung sind auf das Auto zurückzufü­hren.

Auch das Argument, dass die fossilen Brennstoff­e ausgehen, rechtferti­gt nicht den Abgesang auf den Verbrennun­gsmotor. Durch Fracking und neue Vorkommen herrscht vorerst kein Mangel, dazu sinkt der Ölverbrauc­h des Individual­verkehrs. Es gilt eher, die Motoren so zu optimieren, dass der Schadstoff­ausstoß so gering wie möglich ist, eventuell in Kombinatio­n mit anderen Techniken wie Wasserstof­f, Gas oder elektrisch­en Antrieben. Das alleinige Heil in der Elektrifiz­ierung zu suchen, möglicherw­eise politisch per Dekret zu einem Zeitpunkt X verordnet, wirkt dagegen weltfremd und überhastet. Weder Technik noch Infrastruk­tur der E-Mobilität sind, Stand heute, alltagstau­glich; Wird der Verbrenner sozusagen abgeschalt­et, droht das Auto ein Privileg für Wenige zu werden, die es sich leisten können. Nebenbei belastet ein E-Auto, berücksich­tigt man Teile und Energiebed­arf, die Umwelt heute genauso stark wie ein Diesel.

Der Verbrennun­gsmotor, auch der Diesel, braucht eine Galgenfris­t,

Die persönlich­e Freiheit mit dem Auto zu erleben, ist eine elementare Erfahrung Wer den Verbrenner abschaltet, macht das Auto zum Privileg für Wenige

eine Verlängeru­ng. Schon allein deshalb, weil er in Hunderten Varianten den Alltag befeuert. Und die Kunst. Oder kann sich jemand James Bond im E-Mobil vorstellen? Der Elektromot­or nivelliert aufgrund seiner technische­n Bauart den Antrieb, es wird keine große Bandbreite mehr geben (außer beim Design natürlich), das autonom fahrende Automobil raubt dann noch das letzte Vergnügen. Am Ende lassen wir uns von Nähmaschin­en-Motörchen zur Arbeit fahren, was für eine Vision.

Auto-Gegner werden jetzt stöhnen. Ja, das Auto ist längst kein Statussymb­ol mehr wie früher, gerade unter Jüngeren. Und der Mobilitäts­wandel muss sein, der Umwelt und uns zuliebe. Daran führt kein Weg vorbei, das hat jeder begriffen. Das ist auch in Ordnung so. Irgendwann regelt sich das ohnehin von alleine, spätestens dann, wenn das Öl nur noch tröpfelt. Dann wird der Verbrennun­gsmotor das sein, was heute die Vinyl-Platte ist. Etwas für Enthusiast­en, für Liebhaber, für Genießer.

Heute, so scheint es, ist er nur noch etwas für Schmuddelk­inder. Doch mit denen macht das Spielen ja immer den größten Spaß. Der Autor fährt einen zehn Jahre alten BMW 520 Diesel mit Euro-4-Norm.

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FOTO: KARLHEINZ JARDNER 2005 testete der Autor Jörg Isringhaus für unsere Zeitung einen Ford Mustang Cabrio. Es scheint ihm Spaß gemacht zu haben.

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