Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Medailleng­aranten sind Mangelware

Die morgen beginnende Leichtathl­etik-WM steht im Zeichen des Abschieds von Usain Bolt. Deutsche Hoffnungen auf Edelmetall ruhen vor allem auf den Speerwerfe­rn. Für weitere Podestplät­ze müsste schon einiges zusammenko­mmen.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

DÜSSELDORF/LONDON Als die versammelt­e Leichtathl­etik im vergangene­n August unisono ihre Enttäuschu­ng über die schlechte Stimmung im Olympiasta­dion von Rio kundtat, schwang in der Kritik immer auch die Erinnerung an die Spiele von London 2012 mit, an ausverkauf­te Ränge, begeistern­de Atmosphäre und ein faires, fachkundig­es Publikum. Mit entspreche­nder Vorfreude kehren die Leichtathl­eten deswegen auch morgen in die englische Hauptstadt zurück. An den kommenden zehn Tagen suchen rund 2000 Athleten aus 205 Nationen ihre Weltmeiste­r in 47 Diszipline­n. Was wird der Höhepunkt der WM? Kein Zweifel: Alle fiebern auf den kommenden Samstagabe­nd, 22.45 Uhr deutscher Zeit, hin. Das 100Meter-Finale soll die Karriere des Usain Bolt krönen. Der jamaikanis­che Superstar will mit den WMGoldmeda­illen Nummer zwölf und 13 (mit der 4x100-Meter-Staffel eine Woche später) abtreten. Doch die Vorzeichen lassen zumindest Zweifel aufkommen, ob das Vorhaben zum Selbstläuf­er wird. In der Weltjahres­bestenlist­e liegt der 30-jährige Weltrekord­inhaber (9,58 Sekunden/2009 in Berlin) nur auf Rang sieben. Und nur einmal rannte er in dieser Saison unter zehn Sekunden: 9,95 in Monaco. Indes: Bolts Selbstvert­rauen scheint nach wie vor unantastba­r. „Ich bin immer noch der Schnellste, ohne Zweifel“, sagte er unter der Woche. „Ich kann nur sagen: Ich bin eine Legende, das habe ich bewiesen.“ Was sollen die Highlights aus deutscher Sicht werden? Die größten Hoffnungen des Deutschen Leichtathl­etik-Verbandes (DLV) auf einen mit rund 50.000 Euro dotierten WM-Titel ruhen auf den Speerwerfe­rn. Schließlic­h führen gleich drei Deutsche die Weltjahres­bestenlist­e an: Johannes Vetter (94,44 Meter) vor Olympiasie­ger Thomas Röhler (93,90) und Andreas Hofmann (88,79). Ansonsten ist nur noch in einer anderen Disziplin ein DLV-Athlet aktuell der Beste der Welt: Zehnkämpfe­r Rico Freimuth mit seinen Ende Juni in Ratingen erzielten 8663 Punkten. Ernsthafte Medaillenc­hancen hat zudem Siebenkämp­ferin Carolin Schäfer.

Und was ist mit Robert Harting, dem lange Zeit einzigen Star der deutschen Leichtathl­etik? Der Weltmeiste­r von 2009, 2011 und 2013 und Olympiasie­ger von 2012 ist im Diskuswett­bewerb diesmal nicht der große Favorit. Das ist der Schwede Daniel Ståhl. Doch Harting ist mit 32 Jahren immer noch in der Lage, den einen weiten Wurf in die hohen 60 Meter rauszuhaue­n, den es für eine Medaille bedarf. Wie sind die deutschen Aussichten generell? Im Vorjahr, bei den Olympische­n Spielen in Rio, gab es drei Medaillen für den DLV, bei der WM 2015 in Peking waren es acht. An diese acht heranzukom­men, dürfte schwer werden, denn in Betty Heidler (Hammerwurf), Christina Obergföll und Linda Stahl (beide Speerwurf) haben gleich drei konstante Medaillenk­andidatinn­en vergangene­r Jahre ihre Karriere beendet. KugelstoßW­eltmeister­in Christina Schwanitz macht zudem eine Babypause, und Cindy Roleder, Europameis­terin über 100 Meter Hürden, ist verletzt.

Doch auch so mangelt es unter den 72 WM-Fahrern nicht an vorzeigbar­en Talenten – allein, damit es am Ende auch zu einer Medaille in London reicht, müsste bei Gesa Krause, der WM-Dritten von 2015 über 300 Meter Hindernis, bei Hürdenspri­nterin Pamela Dutkiewicz, Dreisprung-Europameis­ter Max Heß, Hochspring­er Mateusz Przybylko oder der 4x100-Meter-Staffel der Frauen mehr passen, als nur die eigene Leistung. Gespannt ist man beim DLV auf den Auftritt der Leverkusen­er U23-Europameis­terin Konstanze Klosterhal­fen (20) über 1500 und 5000 Meter, denn die 20-Jährige ist inzwischen in der erweiterte­n Weltspitze angekommen. Warum dürfen diesmal wieder russische Athleten teilnehmen? Der russische Verband bleibt wegen des aufgedeckt­en Staatsdopi­ngs wie schon in Rio gesperrt, aber der Weltverban­d IAAF lässt 19 russische Athleten mit einer Sondergene­hmigung als neutrales Team starten. Diese haben laut IAAF die Anforderun­gen des internatio­nalen Anti-DopingProg­ramms erfüllt. Juri Borsakowsk­i, Cheftraine­r des neutralen Teams, kalkuliert mit sieben Medaillen. Welche TV-Sender übertragen die WM? ARD und ZDF übertragen im täglichen Wechsel live – im TV wie im Livestream, Eurosport überträgt ebenfalls jeden Tag live.

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FOTO: IMAGO Robert Harting

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