Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Das Schattenreich des Internets
Drogen, Blutdiamanten, Waffen – im sogenannten Darknet findet sich alles, was das kriminelle Herz begehrt. Doch auch dort gibt es Menschen mit guten Absichten. Unser Autor ist versuchsweise in die Untiefen des Internets abgetaucht.
DÜSSELDORF Behörden in Europa und den USA ist vor rund zwei Wochen der bisher größte Schlag gegen illegale Geschäfte im sogenannten Darknet gelungen. Die Ermittler haben zwei große Plattformen für den Handel mit Drogen, Hacker-Software, falschen Ausweispapieren und Waffen geschlossen. Mehr als 200.000 Kunden seien über die Plattformen mit illegalen Produkten bedient worden. Doch wie gelingt es Menschen, sich in diesem Schattenbereich zu bewegen, und was findet man dort? Ich habe mich dort umgeschaut.
Das Schattenreich ist nur ein paar Klicks entfernt. Das sogenannte Darknet ist über die gängigen Wege nicht erreichbar – und umso beliebter bei allen, die im Schutz der Anonymität agieren wollen. So wie es David S. tat – jener 18-jährige Schüler, der am 22. Juli 2016 München in Angst und Schrecken versetzte. Vor einem Schnellrestaurant eröffnete er an diesem Tag ohne Vorwarnung das Feuer, tötete zehn und verletzte 36 Menschen. Zweieinhalb Stunden dauerte sein Amoklauf, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Eine Waffe, die er sich für 4000 Euro illegal im Darknet besorgt hatte, wie die Ermittler wenige Tage später bekannt gaben. Auch Marcel H. aus Herne, der Anfang März zwei Menschen getötet hat, soll dort unterwegs gewesen sein.
Doch was genau ist dieses Darknet überhaupt? Um diese Frage zu beantworten, habe ich mich auf eine Reise begeben, von der ich nicht wusste, wie weit sie mich führen wird. Wie gelingt mir der Zutritt, welche technischen Voraussetzungen muss ich erfüllen? Wenn ich einmal „drin“bin: Wie schnell stoße ich auf illegale Aktivitäten oder bewege mich womöglich selbst abseits des Gesetzes?
Vorausgeschickt sei: Das eine Darknet gibt es nicht. Es handelt sich genau gesagt um zahllose, anonymisierte Bereiche des sogenannten Deep Web – dem unter der öffentlichen Oberfläche verborgenen, aber nicht illegalen Teil des Internets. Hier liegen etwa 90 Prozent der gesamten Informationen, die im Internet vorhanden, aber nicht öffentlich zugänglich sind. Dazu gehören auch wissenschaftliche Berichte, Datenbanken oder Inhalte sozialer Netzwerke. Schätzungen des Bundeskriminalamts zufolge ist das Deep Web etwa zehn- bis 100-mal umfangreicher ist als das vom normalen Internetnutzer täglich besuchte „Surface Web“, das buch- Mit nur wenigen Klicks gelangt man im Darknet an illegale Waffen. Auch Drogen wie Marihuana und Kokain können auf speziellen Seiten gekauft werden. Wer gefälschte Pässe braucht, bekommt direkt die Preisliste mitgeliefert. Dark Net Summe aller Internetseiten, die über Suchmaschinen erreicht werden können. Webseiten mit Zugangsbeschränkungen Verbindungsdaten und Kommunikation anonymisiert Anzahl der täglichen Nutzer des Tor-Netzwerks in ausgewählten Ländern weltweit im Jahr 2016, in Tausend USA Russland 213 Deutschland 186 Frankreich 113 Großbritannien 85 Italien 53 367 stäblich nur die Spitze des Eisberges darstellt. Die im Deep Web abgelegten Daten sind mit normalen Suchmaschinen wie Google oder Bing nicht zu finden – was im Umkehrschluss keinesfalls bedeutet, dass sie illegal sind.
Erst mit Hilfe eines speziellen Browsers wird der Gang ins Darknet möglich. Doch der Weg dorthin überfordert selbst Ungeübte nicht: Die Installationsdatei des notwendigen Tor-Browsers lässt sich mit einer einfachen Google-Suche aufspüren, die Einrichtung läuft wie die jeglicher anderer beliebigen Software. Beim Start verbindet sich der Tor-Browser mit dem anonymen Netzwerk – fertig. Eine kurze Stichwortsuche via „DuckDuckGo“– eine spezielle Suchmaschine, die im Gegensatz zu Google auch versteckte Links aufspürt – führte mich schließlich zum „hidden wiki“, einem Marktplatz für Kriminelle.
Dort finde ich alles, was ich noch niemals wollte: Eine gefälschte amerikanische Staatsbürgerschaft für 5900 US-Dollar (5600 Euro), ein Gramm reines Kokain für 85 Pfund (100 Euro) oder gestohlene Kreditkartendaten. Die Angebotspalette lässt keine kriminellen Wünsche offen: verschreibungspflichtige Medikamente, Drogen, Blutdiamanten, gefälschte Ausweise, verbotenes pornografisches Material – und Waffen. Alles bunt beworben, detailliert beschrieben und auf passenden Bildern in Szene gesetzt. Ein Klick und die gewünschten Artikel wären im Warenkorb gelandet, zahlbar per Bitcoins, einer digitalen Währung.
Diese Art der digitalen Kriminalität stellt auch die Strafverfolgungsbehörden vor immer größere Probleme – nicht zuletzt, weil hier viele verschiedene internationale Akteure miteinander in Kontakt treten können und die entsprechenden Marktplätze im Darknet ohne tiefergehende PC-Kenntnisse erreichbar sind. „Leider gelingt es mittlerweile jedem Laien, die für den Zutritt zum Darknet nötige Software zu installieren. Die zusätzliche hochgradige Anonymisierung macht es umso schwieriger, mögliche Täter zu identifizieren“, sagt daher auch Thomas Jansen vom CybercrimeKompetenzzentrum des Landeskriminalamts NRW.
Doch auch wenn im Darknet kriminelle Wünsche spielend leicht erfüllt werden können: Selbst dort ist nicht alles schlecht. Was insofern nicht verwunderlich ist, als darin die ursprüngliche Idee eines Forscher-Teams der U.S. Navy Mitte der 90er-Jahre bestand: Jedem Menschen die freie Nutzung des Internets ohne die Preisgabe sensibler persönlicher Daten zu ermöglichen. Das Team erfand eine Methode, die einen Datensatz dadurch verschlüsselt, dass er mit mehreren Codes umhüllt wird, ähnlich den Schichten einer Zwiebel. Daraus entstand im Jahr 2002 das Netzwerk „The Onion Router“(Tor). Für die Oppositionsbewegungen des arabischen Frühlings erwies sich Tor als hervorragende Möglichkeit, trotz Zensurbemühungen der jeweiligen Regierung unerkannt miteinander in Kontakt zu bleiben. Und seit zwei Jahren ist auch Facebook über eine eigene Tor-Adresse erreichbar, fungiert seitdem als soziales Netzwerk der Verfolgten und Ausgeschlossenen. Durch das Darknet haben sie die Möglichkeit, ein weitestgehend normales Leben in einer anonymisierten Öffentlichkeit zu führen.
Dennoch begegnen mir bei meinem Abstecher ins Darknet mehr Kriminalität, Illegalität und moralisch fragwürdige Inhalte, als ich im Vorhinein erwartet hatte. Daher breche ich meine Reise in die Abgründe menschlichen Handelns bereits nach rund einer Stunde lieber wieder ab. Vor allem aber beendete ich meinen Ausflug ins Gruselkabinett der Schwarzmarkt-Kuriositäten, weil ich mit Schrecken feststellen musste, dass jeder, der es auch nur ansatzweise darauf anlegt, dort auf Shoppingtour zu gehen, jeden noch so skurrilen Wunsch erfüllt bekommen kann. So wie David S.
„Die hochgradige Anonymisierung macht es umso schwieriger, Täter zu identifizieren“
Thomas Jansen
LKA-Cybercrime-Kompetenzzentrum