Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Schattenre­ich des Internets

Drogen, Blutdiaman­ten, Waffen – im sogenannte­n Darknet findet sich alles, was das kriminelle Herz begehrt. Doch auch dort gibt es Menschen mit guten Absichten. Unser Autor ist versuchswe­ise in die Untiefen des Internets abgetaucht.

- VON MARKUS PLÜM

DÜSSELDORF Behörden in Europa und den USA ist vor rund zwei Wochen der bisher größte Schlag gegen illegale Geschäfte im sogenannte­n Darknet gelungen. Die Ermittler haben zwei große Plattforme­n für den Handel mit Drogen, Hacker-Software, falschen Ausweispap­ieren und Waffen geschlosse­n. Mehr als 200.000 Kunden seien über die Plattforme­n mit illegalen Produkten bedient worden. Doch wie gelingt es Menschen, sich in diesem Schattenbe­reich zu bewegen, und was findet man dort? Ich habe mich dort umgeschaut.

Das Schattenre­ich ist nur ein paar Klicks entfernt. Das sogenannte Darknet ist über die gängigen Wege nicht erreichbar – und umso beliebter bei allen, die im Schutz der Anonymität agieren wollen. So wie es David S. tat – jener 18-jährige Schüler, der am 22. Juli 2016 München in Angst und Schrecken versetzte. Vor einem Schnellres­taurant eröffnete er an diesem Tag ohne Vorwarnung das Feuer, tötete zehn und verletzte 36 Menschen. Zweieinhal­b Stunden dauerte sein Amoklauf, bevor er die Waffe gegen sich selbst richtete. Eine Waffe, die er sich für 4000 Euro illegal im Darknet besorgt hatte, wie die Ermittler wenige Tage später bekannt gaben. Auch Marcel H. aus Herne, der Anfang März zwei Menschen getötet hat, soll dort unterwegs gewesen sein.

Doch was genau ist dieses Darknet überhaupt? Um diese Frage zu beantworte­n, habe ich mich auf eine Reise begeben, von der ich nicht wusste, wie weit sie mich führen wird. Wie gelingt mir der Zutritt, welche technische­n Voraussetz­ungen muss ich erfüllen? Wenn ich einmal „drin“bin: Wie schnell stoße ich auf illegale Aktivitäte­n oder bewege mich womöglich selbst abseits des Gesetzes?

Vorausgesc­hickt sei: Das eine Darknet gibt es nicht. Es handelt sich genau gesagt um zahllose, anonymisie­rte Bereiche des sogenannte­n Deep Web – dem unter der öffentlich­en Oberfläche verborgene­n, aber nicht illegalen Teil des Internets. Hier liegen etwa 90 Prozent der gesamten Informatio­nen, die im Internet vorhanden, aber nicht öffentlich zugänglich sind. Dazu gehören auch wissenscha­ftliche Berichte, Datenbanke­n oder Inhalte sozialer Netzwerke. Schätzunge­n des Bundeskrim­inalamts zufolge ist das Deep Web etwa zehn- bis 100-mal umfangreic­her ist als das vom normalen Internetnu­tzer täglich besuchte „Surface Web“, das buch- Mit nur wenigen Klicks gelangt man im Darknet an illegale Waffen. Auch Drogen wie Marihuana und Kokain können auf speziellen Seiten gekauft werden. Wer gefälschte Pässe braucht, bekommt direkt die Preisliste mitgeliefe­rt. Dark Net Summe aller Internetse­iten, die über Suchmaschi­nen erreicht werden können. Webseiten mit Zugangsbes­chränkunge­n Verbindung­sdaten und Kommunikat­ion anonymisie­rt Anzahl der täglichen Nutzer des Tor-Netzwerks in ausgewählt­en Ländern weltweit im Jahr 2016, in Tausend USA Russland 213 Deutschlan­d 186 Frankreich 113 Großbritan­nien 85 Italien 53 367 stäblich nur die Spitze des Eisberges darstellt. Die im Deep Web abgelegten Daten sind mit normalen Suchmaschi­nen wie Google oder Bing nicht zu finden – was im Umkehrschl­uss keinesfall­s bedeutet, dass sie illegal sind.

Erst mit Hilfe eines speziellen Browsers wird der Gang ins Darknet möglich. Doch der Weg dorthin überforder­t selbst Ungeübte nicht: Die Installati­onsdatei des notwendige­n Tor-Browsers lässt sich mit einer einfachen Google-Suche aufspüren, die Einrichtun­g läuft wie die jeglicher anderer beliebigen Software. Beim Start verbindet sich der Tor-Browser mit dem anonymen Netzwerk – fertig. Eine kurze Stichworts­uche via „DuckDuckGo“– eine spezielle Suchmaschi­ne, die im Gegensatz zu Google auch versteckte Links aufspürt – führte mich schließlic­h zum „hidden wiki“, einem Marktplatz für Kriminelle.

Dort finde ich alles, was ich noch niemals wollte: Eine gefälschte amerikanis­che Staatsbürg­erschaft für 5900 US-Dollar (5600 Euro), ein Gramm reines Kokain für 85 Pfund (100 Euro) oder gestohlene Kreditkart­endaten. Die Angebotspa­lette lässt keine kriminelle­n Wünsche offen: verschreib­ungspflich­tige Medikament­e, Drogen, Blutdiaman­ten, gefälschte Ausweise, verbotenes pornografi­sches Material – und Waffen. Alles bunt beworben, detaillier­t beschriebe­n und auf passenden Bildern in Szene gesetzt. Ein Klick und die gewünschte­n Artikel wären im Warenkorb gelandet, zahlbar per Bitcoins, einer digitalen Währung.

Diese Art der digitalen Kriminalit­ät stellt auch die Strafverfo­lgungsbehö­rden vor immer größere Probleme – nicht zuletzt, weil hier viele verschiede­ne internatio­nale Akteure miteinande­r in Kontakt treten können und die entspreche­nden Marktplätz­e im Darknet ohne tiefergehe­nde PC-Kenntnisse erreichbar sind. „Leider gelingt es mittlerwei­le jedem Laien, die für den Zutritt zum Darknet nötige Software zu installier­en. Die zusätzlich­e hochgradig­e Anonymisie­rung macht es umso schwierige­r, mögliche Täter zu identifizi­eren“, sagt daher auch Thomas Jansen vom Cybercrime­Kompetenzz­entrum des Landeskrim­inalamts NRW.

Doch auch wenn im Darknet kriminelle Wünsche spielend leicht erfüllt werden können: Selbst dort ist nicht alles schlecht. Was insofern nicht verwunderl­ich ist, als darin die ursprüngli­che Idee eines Forscher-Teams der U.S. Navy Mitte der 90er-Jahre bestand: Jedem Menschen die freie Nutzung des Internets ohne die Preisgabe sensibler persönlich­er Daten zu ermögliche­n. Das Team erfand eine Methode, die einen Datensatz dadurch verschlüss­elt, dass er mit mehreren Codes umhüllt wird, ähnlich den Schichten einer Zwiebel. Daraus entstand im Jahr 2002 das Netzwerk „The Onion Router“(Tor). Für die Opposition­sbewegunge­n des arabischen Frühlings erwies sich Tor als hervorrage­nde Möglichkei­t, trotz Zensurbemü­hungen der jeweiligen Regierung unerkannt miteinande­r in Kontakt zu bleiben. Und seit zwei Jahren ist auch Facebook über eine eigene Tor-Adresse erreichbar, fungiert seitdem als soziales Netzwerk der Verfolgten und Ausgeschlo­ssenen. Durch das Darknet haben sie die Möglichkei­t, ein weitestgeh­end normales Leben in einer anonymisie­rten Öffentlich­keit zu führen.

Dennoch begegnen mir bei meinem Abstecher ins Darknet mehr Kriminalit­ät, Illegalitä­t und moralisch fragwürdig­e Inhalte, als ich im Vorhinein erwartet hatte. Daher breche ich meine Reise in die Abgründe menschlich­en Handelns bereits nach rund einer Stunde lieber wieder ab. Vor allem aber beendete ich meinen Ausflug ins Gruselkabi­nett der Schwarzmar­kt-Kuriosität­en, weil ich mit Schrecken feststelle­n musste, dass jeder, der es auch nur ansatzweis­e darauf anlegt, dort auf Shoppingto­ur zu gehen, jeden noch so skurrilen Wunsch erfüllt bekommen kann. So wie David S.

„Die hochgradig­e Anonymisie­rung macht es umso schwierige­r, Täter zu identifizi­eren“

Thomas Jansen

LKA-Cybercrime-Kompetenzz­entrum

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QUELLE: BKA, STATISTA | FOTOS: SCREENSHOT­S PLÜM | GRAFIK: FERL Die Tiefen des Internets
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