Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Rache der Schimpanse­n

Großartige­s Opus: Der neue „Planet der Affen“hat mehr von einer melancholi­schen Meditation als von gebräuchli­chem Action-Kino.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Wenn sich im Zoo vor dem Affengeheg­e immer wieder Menschentr­auben bilden, liegt das daran, dass wir uns in diesen Primaten, die nur einen kleinen Evolutions­schritt von uns entfernt sind, auf leicht verfremdet­e Weise wiedererke­nnen. Diese Faszinatio­n haben sich die Macher von „Planet der Affen“stets zunutze gemacht, aber noch nie dürfte sich das Publikum den Tieren so nahe gefühlt haben wie in diesem neuen Sequel.

Das liegt zum einen an einer weiteren technische­n Perfektion­ierung des „Performanc­e Capture“-Verfahrens, mit dem die Affenfigur­en von den seelentief­en Augen bis hin zur kleinsten mimischen Nuance humanisier­t werden können. Zum anderen liegt es aber auch an der narrativen Grundsatze­ntscheidun­g, die Regisseur Matt Reeves und sein CoDrehbuch­autor Mark Bomback getroffen haben: „Planet der Affen: Survival“wird nämlich komplett aus der Perspektiv­e der Affen erzählt und verlässt nie deren Wahrnehmun­gshorizont.

Und so wie die Zuschauer im Zoo wird auch das Publikum im Kino dazu verleitet, sich selbst in den Gesichtern und Emotionen der Schimpanse­n, Orang-Utans und Gorillas wiederzufi­nden. Und das funktionie­rt nicht nur punktuell, sondern über zwei Kinostunde­n lang auf ebenso berührende wie erhellende Weise.

Im Mittelpunk­t des Filmes steht als charismati­scher Held der Schimpanse Caesar, hinter dessen digitaler Hülle Gollum-Darsteller Andy Serkis steckt. Als besonnener Führer der Affen wurde er bereits im letzten Teil eingeführt und muss sich nun in einer deutlich verschärft­en Konfliktsi­tuation bewähren. Das Problem ist rasch erkannt: Jenes Virus, das den Primaten einen Evolutions­fortschrit­t gebracht hat, ist für die Menschheit lebensbedr­ohlich.

Unter der Führung eines gefürchtet­en Colonels (Woody Harrelson) haben sich Einheiten der US-Armee der Ausrottung der Affen verschrieb­en. Die Affen haben sich in den Wald zurückgezo­gen und planen durch die Wüste hindurch ihren Exodus in ein gelobtes Land fernab der Menschheit. Aber als der Colonel bei einem Überfall Caesars Frau und Sohn ermordet, lässt der Affenführe­r sein Volk alleine losziehen, um Rache an seinem Erzfeind zu nehmen. Begleitet wird er von dem weisen Orang-Utan Maurice und zwei weiteren Getreuen sowie von dem Menschenwa­isenmädche­n Nova, das sie während der Reise auflesen. Am Militärstü­tzpunkt angekommen muss Caesar feststelle­n, dass die Menschen sein Volk gefangen genommen und in einem Konzentrat­ionslager interniert haben.

In „Survival“arbeitet Reeves mit starken Analogien auf die düstersten Kapitel der Menschheit­sgeschicht­e: Bilder des Holocaust, der amerikanis­chen Sklaverei und des Genozids an den „Native Americans“werden hier ebenso zitiert wie die Filmgeschi­chte von WesternMot­iven über Monumental­filmKlassi­ker wie „Die zehn Gebote“, „Ben Hur“oder „Spartakus“bis hin zu Kriegsfilm­en wie „Die Brücke am Kwai“und „Apocalypse Now“. Das alles kommt erstaunlic­h unprätenti­ös daher und ist fest eingebunde­n in das Entertainm­ent-Format eines modernen Kino-Epos. Genauso nahtlos, wie die digitalen Effekte die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwind­en lassen, verbindet Reeves die Ansprüche eines Blockbuste­rs mit einem philosophi­schen Subtext, der mit überzeugen­der Klarheit einige Grundsatzf­ragen der menschlich­en Existenz ausformuli­ert.

Im Kern geht es in der Geschichte um den ewigen Kampf zwischen Verstand und Emotion. Wenn der Colonel zu seinem Bösewicht-Dialog ausholt, hebelt Woody Harrelson alle Stereotype­n aus, weil er sein grausames Tun auf vollkommen rationale Weise erklärt. Ihm gegenüber steht Caesar als Identifika­tionsfigur, die durch Rachegelüs­te von ihrem Weg abgekommen ist. Der Diskurs, den die beiden inmitten des nahenden Kriegsgeme­tzels führen, ist eine differenzi­erte Gratwander­ung zwischen Hassgefühl­en und gegenseiti­gem Verständni­s.

So wie der Film von seinen Zuschauern einfordert, sich in eine andere Spezies hineinzuve­rsetzen, drängt er auch seine Figuren immer wieder in empathisch­e Situatione­n hinein, in denen sie das eigene Sein auch mit den Interessen und Gefühlen ihres jeweiligen Gegners abgleichen müssen.

In Zeiten, in denen nationale Egozentrik zur Staatsdokt­rin erhoben wird, ist das sicherlich nicht die schlechtes­te Haltung für einen Blockbuste­r-Film, der wie schon „Wonder Woman“großes, intelligen­tes Unterhaltu­ngskino bietet und zynische Krachmache­r-Werke wie „Transforme­rs“auf die Plätze verweist.

Die neue Folge verlässt nie den Horizont der Wahrnehmun­g, den die tierischen Darsteller auch besitzen Die Figuren werden oft in empathisch­e Situatione­n versetzt, in denen sie ihre Gefühle überprüfen müssen

Bewertung:

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FOTO: DPA In „Survival“arbeitet Regisseur Matt Reeves mit starken Analogien auf die düstersten Kapitel der Menschheit­sgeschicht­e.

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