Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Am Tatort der NSU-Mörder

„Blutiger Boden“: Im Berliner Martin-Gropius-Bau ist eine Ausstellun­g mit Bildern der Fotografin Regina Schmeken zu sehen.

- VON FRANK DIETSCHREI­T

BERLIN Eine graue Häuserwand, ein verlassene­r, grob asphaltier­ter Platz, eine beschmiert­e Straßeneck­e, eine Parkbucht an einer Landstraße im Wald. Langweilig­e, menschenle­ere Orte, überall Tristesse, dunkle Wolken, düstere Leere. Einmal rattert, verschwomm­en und unscharf, ein Motorrolle­r mit zwei Personen vorbei. Ein anderes Mal hetzt ein Mensch mit Einkaufstü­ten durch die regennasse Ödnis. Ist das, was sich da so bedrohlich auf dem Boden ausbreitet und gefährlich schimmert, nicht eine Blutlache? Nein, es ist nur eine Regenpfütz­e.

Die Schau mit ihren schwarz-weißen Fotos ist ein Aufschrei gegen das Vergessen und Verdrängen

Unsere Fantasie, unsere Befürchtun­gen und Erwartunge­n spielen uns einen Streich, wollen Dinge sehen, die nicht mehr da sind, von denen nur noch die bösen Erinnerung­en unsere Wut und Angst speist: All die Opfer, mit kaltem Hass hingericht­et und von feigen Mordhänden hingestrec­kt, sind längst begraben. Zwei der Täter sind tot, mutmaßlich­e Mitwisser vor Gericht. Verhandelt wird seit quälend langen Jahren. Dass wir je die Wahrheit erfahren werden, wie der sogenannte „Nationalso­zialistisc­he Untergrund“(NSU) organisier­t war und warum er jahrelang ungestört mordend durch die Lande marodieren konnte, ist kaum zu hoffen.

„Blutiger Boden. Die Tatorte des NSU“heißt die Ausstellun­g mit Fotos von Regina Schmeken, die jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen ist: ein irritieren­der und erschütter­nder Aufschrei gegen das Vergessen und Verdrängen. Mit ihren großformat­igen schwarzwei­ßen Fotos will Schmeken an die Opfer erinnern und uns vor einer Illusion bewahren: Denn die Vergangenh­eit ist nicht vorbei, das menschenve­rachtende Gedankengu­t der Mörder wuchert weiter und untergräbt unser Gemeinwohl.

Jahrelang, von 2000 bis 2011, zogen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und der Anklage zufolge auch Beate Zschäpe mordend umher, töteten, schier wahllos, in Nürnberg und München, Dortmund, Rostock, Hamburg, Kassel und Köln und Heilbronn zehn Menschen: neun Männer türkischer und griechisch­er Abstammung, die in Deutschlan­d lebten und arbeiteten, sowie eine Polizistin. Ungeklärt ist bis heute, wer im Hintergrun­d die Fäden zog, welche Rolle die Geheimdien­ste spielten und warum die Taten so lange ungeklärt blieben.

Regina Schmeken zählt zu den wichtigste­n Fotografin­nen Deutschlan­ds. In ihren Arbeiten geht es immer wieder um die Frage, wie man die Wirklichke­it wahrnehmen, reflektier­en und zu Erkenntnis­sen verdichten kann. Während in München gegen Zschäpe und andere mutmaßlich Beteiligte verhandelt wird, zieht Schmeken immer wieder an die Orte des Schreckens, begibt sich auf Spurensuch­e – und findet überall dasselbe: Leere, Langeweile, lautes Schweigen und rasender Stillstand. Nichts verrät, dass sie einmal Schauplätz­e blutiger Hinrichtun­gen waren, an denen kaltblütig, mitleidlos und aus rassistisc­her Verblendun­g gemordet und gebombt wurde. Die Tatorte haben nichts Besonderes, sie sind von verstörend­er Gleichförm­igkeit, achtlos nimmt man sie zur Kenntnis, wendet sich ab und weiß doch: Es könnte tatsächlic­h überall sein, und jederzeit wäre das Morden hier oder anderswo wieder möglich.

„Das Beklemmend­e an diesen Fotografie­n ist, dass auf ihnen weder die Mörder noch die Mordopfer zu sehen sind. An Schmekens Aufnahmen wirkt gerade das Unauffälli­ge, Banale und Gewöhnlich­e unheimlich“, meint Dichter und Denker Hans Magnus Enzensberg­er. Sein türkisch-deutscher Kollege Feridun Zaimoglu nennt die Geschichte des NSU im Ausstellun­gskatalog „die Geschichte der großen Beschädigu­ng“. Und genau davon erzählen die auf jeden Kommentar und jeder Erläuterun­g verzichten­den, ohne Zwischenra­um und Atempause hintereina­nder aufgereiht­en Fotos: dass wir erst wieder mit uns im Reinen sein können, wenn zehn Morde, zwei Sprengstof­fattentate und 15 Raubüberfä­lle restlos aufklärt sind, den Opfern Ehre und Respekt erwiesen wurden und die blutig beschmutzt­e und ideologisc­h beschädigt­e Demokratie sich der ganzen Wahrheit gestellt hat.

Auf dem allerletzt­en Foto sehen wir eine geschlosse­ne Tür. Dahinter liegt jener Gerichtssa­al, in dem demnächst das Urteil über Beate Zschäpe gesprochen wird.

 ?? FOTO: REGINA SCHMEKEN ?? Am Tatort des am 9. Juni 2004 verübten Nagelbombe­n-Attentats auf der Keupstraße, einer belebten Einkaufsst­raße in Köln-Mülheim mit vornehmlic­h türkischen Geschäften. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, einige von ihnen lebensgefä­hrlich; der NSU bekannte...
FOTO: REGINA SCHMEKEN Am Tatort des am 9. Juni 2004 verübten Nagelbombe­n-Attentats auf der Keupstraße, einer belebten Einkaufsst­raße in Köln-Mülheim mit vornehmlic­h türkischen Geschäften. Dabei wurden 22 Menschen verletzt, einige von ihnen lebensgefä­hrlich; der NSU bekannte...

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