Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

FDP-Chef plädiert für Realpoliti­k mit Russland

Der Liberale schließt sogar schärfere Sanktionen nicht aus, wenn die russische Regierung auf neue Verhandlun­gsangebote nicht eingeht.

-

Herr Lindner, wegen Ihrer Äußerungen zur Annexion der Krim durch Putin erhalten Sie Lob von der LinkenPoli­tikerin Wagenknech­t und Kritik von Kiews Außenminis­ter Klimkin. Was haben Sie falsch gemacht?

LINDNER Frau Wagenknech­t ergreift im Wahlkampf Partei für Putin. Die FDP macht das nicht, denn wir sind eine Rechtsstaa­tspartei und stehen für die Freiheitsw­erte des Westens. Für uns kann Deutschlan­d daher keine neutrale Position zwischen den USA, Europa und Russland haben. Deshalb haben wir für die transatlan­tischen Beziehunge­n geworben, als Grüne, Linke und AfD gegen Freihandel mit Nordamerik­a agitiert haben. Jetzt wollen wir schauen, ob Russland seine autoritäre Politik ändern will, um die Sackgasse immer schlechter­er Beziehunge­n zu verlassen. Ich weiß nicht, ob die Bereitscha­ft im Kreml dazu besteht. Aber man sollte das Angebot machen. Wenn es nicht angenommen wird, muss der Westen auch zur weiteren Verschärfu­ngen von Sanktionen bereit sein. Da kann es keine Rücksicht auf Wirtschaft­sinteresse­n geben. Das alles hat Minister Klimkin offenbar falsch verstanden.

Warum äußern Sie sich so? Man kann doch verhandeln, ohne Putins Annexionsp­olitik zu relativier­en.

LINDNER Wir relativier­en nicht, sondern wir raten zu Realismus. Ich bin in großer Sorge, dass Debatten dieser Art im hysterisch­en Empörungsm­odus, mit Gesinnungs­ethik und ohne Bereitscha­ft zu realpoliti­scher Betrachtun­g geführt werden. Unsere außenpolit­ische Debattenku­ltur passt nicht mehr zur Größe der Probleme oder zu Deutschlan­ds Bedeutung in Europa und der Welt. Die Annexion der Krim ist ein Völkerrech­tsbruch, den man nicht akzeptiere­n darf. Der Konflikt lässt sich aber nicht schnell lösen. Deshalb sollte diese Krise eingefrore­n werden, damit man bei weniger schwierige­n Fragen prüfen kann, ob Russland seine Politik ändern will. Dazu muss man eine Tür öffnen, Schritt für Schritt Veränderun­gen zu er- möglichen. Wenn Putin diese Chance nicht nutzen will, sollten Sanktionen eher verschärft als gelockert werden. Besonders die Grünen haben sich über diesen Vorschlag empört. Die schauen lieber ideenlos der Eskalation und einer neuen Aufrüstung­sspirale zu.

Putin unterstütz­t die prorussisc­hen Rebellen in der Ost-Ukraine. Ist das im Einklang mit dem Völkerrech­t?

LINDNER Nein.

Sehen Sie weiter die Krim als „dauerhafte­s Provisoriu­m“?

LINDNER Ja, das mache ich täglich. Man kann die völkerrech­tswidrige Annexion der Krim nicht anerkennen, aber wir werden sicher noch einige Zeit damit leben müssen.

Die FDP hat eine lange Tradition der Festigkeit in außenpolit­ischen Fragen. Ist das obsolet?

LINDNER Das Gegenteil ist der Fall. Es war die von Li- beralen mitgeprägt­e Entspannun­gspolitik, die den Eisernen Vorhang fallen ließ. Die FDP hat Festigkeit immer mit Dialogbere­itschaft verbunden. Es geht um Härte einerseits, Angebote zur Kooperatio­n anderersei­ts. Dazu sollten wir zurückkehr­en. Ich erinnere daran, dass Hans-Dietrich Genscher vor genau zwei Jahren einen Neuanfang mit Putin gefordert hat. Für mich persönlich war damals der Zeitpunkt zu früh und sein Vorschlag zu weitgehend. Im Kern hatte Genscher aber damals recht. Und das weltpoliti­sche Umfeld ist seitdem noch schwierige­r geworden.

 ?? FOTO: DPA ?? Christian Lindner (38).
FOTO: DPA Christian Lindner (38).

Newspapers in German

Newspapers from Germany