Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ausgeblute­te Kommunen

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND UNSEREN LOKALREDAK­TIONEN

Boomende Konjunktur und niedrige Zinsen haben die Finanzlage in Nordrhein-Westfalen laut einer Bertelsman­n-Studie kaum entspannt.

DÜSSELDORF In Wermelskir­chen essen die Grundschül­er im Container zu Mittag – und daran wird sich so schnell nichts ändern. Die Stadt hat kein Geld für ein neues Mensagebäu­de. „Für die Kinder ist das nicht so schön, aber in unserer Lage ist nichts anderes möglich“, sagt Bürgermeis­ter Rainer Bleek. 2016 lag die Gesamtvers­chuldung pro Einwohner dort bei 2361 Euro.

Wie Wermelskir­chen geht es vielen NRW-Kommunen. Einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung zufolge ist ihre Finanzlage weiterhin angespannt – trotz guter Konjunktur und niedriger Zinsen. Ihr Handlungss­pielraum für die Zukunft sei damit stärker eingeschrä­nkt als andernorts. Zwar wurde in NRW insgesamt der erste Haushaltsü­berschuss seit der Finanzkris­e 2008 erzielt. Doch die Investitio­nen und Steuereinn­ahmen bleiben weiterhin hinter dem Bundesschn­itt zurück.

Besonders kritisch: Die Kassenkred­ite, die den Kommunen ähnlich wie Dispo-Kredite nur zur kurzfristi­gen Überbrücku­ng von Finanzengp­ässen dienen sollen, sind der Studie zufolge zum Dauerzusta­nd geworden. Eine Ursache dafür ist, dass zwar die Einnahmen der Städte und Gemeinden wachsen. Gleichzeit­ig steigen aber die Ausgaben ins- besondere für soziale Aufgaben beinahe genauso stark.

Die Stabilisie­rung der kommunalen Finanzen ist eine der zentralen Herausford­erungen für die neue schwarz-gelbe Landesregi­erung. Die zuständige Ministerin Ina Scharrenba­ch (CDU) hatte angekündig­t, den von der Vorgänger-Regierung eingeführt­en KommunalSo­li abzuschaff­en, der Unterschie­de zwischen armen und reichen Kommunen ausgleiche­n sollte. In der Studie heißt es dazu: „Der Stärkungsp­akt wirkt, kann das Problem der Altlasten aus Kassenkred­iten aber nicht lösen.“

Im Bundesverg­leich liegt NRW mit einem Haushaltsü­berschuss der Kommunen von 650 Millionen Euro oder 36 Euro pro Einwohner nur an neunter Stelle. „Im langfristi­gen Vergleich fällt NRW bei Wirtschaft­swachstum und Steuereinn­ahmen zurück“, sagte Bertelsman­n-Finanzexpe­rte René Geißler.

Zugleich rangiert das Land auf Platz drei der Hauptschul­denländer – hinter dem Saarland und Rheinland-Pfalz. Denn der Schuldenst­and pro Einwohner stieg um elf auf 3095 Euro. Die 17 höchstvers­chuldeten Kommunen liegen in zwei Ländern: NRW und RheinlandP­falz. Allein die Stadt Essen verzeichne mehr als doppelt so hohe Kassenkred­ite wie alle Kommunen in Bayern, Baden-Württember­g, Sachsen und Thüringen zusammen. Dabei muss die Hälfte aller Kommunen bundesweit gar nicht darauf zurückgrei­fen. Die Unterschie­de innerhalb von NRW sind allerdings erheblich: Pro Einwohner erreicht Düsseldorf dreimal so hohe Steuereinn­ahmen wie Herne.

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