Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Nullzinsen für Sparer noch bis 2020

Chefvolksw­irte von Banken und Wirtschaft­sforscher rechnen nicht mit einem Zinsanstie­g in den kommenden Jahren. Auch die Inflation ziehe kaum an. Preisblase­n an den Immobilien­märkten könnten aber zu einer Gefahr werden.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Sparer in Europa müssen sich nach Einschätzu­ng führender Ökonomen bei Banken und Wirtschaft­sforschung­sinstitute­n mindestens für weitere zwei Jahre auf Sparzinsen nahe Null einstellen. „Die erste Zinserhöhu­ng, die auf dem Sparbuch ankommt, erwarten wir in Europa erst 2020“, sagt Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der Dekabank in Frankfurt. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir noch mal zwei Jahre der Nullzinspo­litik der EZB haben werden. Auch ab 2019 werden die Zinsen nur sehr langsam

„Die erste Zinserhöhu­ng, die auf dem Sparbuch ankommt, erwarten wir erst 2020“

Ulrich Kater

Deka-Chefvolksw­irt

wieder steigen“, sagt Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaft­sforschung (DIW) in Berlin. „Die allgemeine Erwartung ist, dass die Zinsen sehr langsam steigen werden – wenn überhaupt“, sagt auch Andreas Peichl vom Ifo-Institut München.

Die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) hatte ihren Leitzins im Herbst 2015 auf nahe Null und im Frühjahr 2016 weiter auf Null gesenkt. Sie reagierte damit auf die längst nicht überwunden­e Schuldenkr­ise und die weiterhin schwache Inflation im Euro-Raum. Sparbücher und andere sichere Geldanlage­n wie Tagesoder Festgeld werfen daher für Sparer schon seit Jahren nichts mehr ab. Anleger sind gezwungen, in risikoreic­here Papiere zu investiere­n, wenn sie Renditen erzielen wollen.

Zwar hat sich die Konjunktur­lage in Europa zuletzt spürbar verbessert, und auch die Inflation zog wieder leicht an. Doch ist die EuroTeueru­ngsrate mit 1,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr noch immer weit vom EZB-Zielwert von nahe zwei Prozent entfernt. Die Ökonomen sehen auch künftig wenig Inflations­druck – und sagen vor allem deshalb geringe Sparzinsen noch bis ins nächste Jahrzehnt voraus.

„Die EU-Wirtschaft­sleistung hat gerade erst wieder das Niveau von Anfang 2008 erreicht“, sagt DIWChef Fratzscher. Die Arbeitslos­enquoten seien in vielen EU-Ländern noch zu hoch. Auch in Deutschlan­d seien die Kapazitäte­n „bei Weitem“nicht ausgelaste­t. „Inflation wird auch in Zukunft nicht unser Problem sein, davor müssen wir uns nicht fürchten.“Sparer sollten sich noch sehr lange auf niedrige Zinsen einstellen. „Das bezeichne ich als ein notwendige­s Übel. Die Sparer leiden darunter, der Staat freut sich“, sagt Fratzscher.

Auch Lars Feld, Mitglied im Wirtschaft­s-Sachverstä­ndigenrat, rechnet nicht mit baldigen Zinserhöhu­ngen der EZB. Allerdings „entwickelt sich die Wirtschaft der EuroZone besser als noch zu Jahresbegi­nn erwartet“, sagt der Freiburger Ökonom. „In Deutschlan­d befinden wir uns bereits in der Überauslas­tung der Kapazitäte­n und beobachten ein Anziehen der Inflations­rate“, widerspric­ht er Fratzscher. Die EZB sollte daher „aus ihrer viel zu expansiven Geldpoliti­k aussteigen“, fordert Feld. „Die Zinsen sollten lieber früher als später steigen.“

Pessimisti­sch für Sparer zeigt sich auch Dekabank-Chefvolksw­irt Kater. Die Zinserhöhu­ngen ab 2020 würden so gering sein, dass sie von der Inflation wieder aufgefress­en würden. „Insgesamt heißt das noch lange Jahre keinerlei Zinsen auf Spareinlag­en, Termingeld­er, geschweige denn Girokonten. Laufende Anlageertr­äge sind nur noch mit unternehme­nsnahen Anleihen, mit Dividenden von Aktien oder mit Immobilien­fonds zu erwirtscha­ften.“

Auch Ifo-Experte Peichl sagt: „Wir werden noch länger mit der Nullzinspo­litik leben müssen, auch wenn es mit der Wirtschaft im Euroraum aufwärts geht.“Große inflationä­re Tendenzen werde es nicht geben. „Wir bleiben weiterhin auch in Deutschlan­d unter dem ZweiProzen­t-Ziel der EZB“, sagt Peichl.

Um die Inflation anzukurbel­n, flutet die EZB die Finanzmärk­te überdies seit März 2015 mit Geld, indem sie im großen Stil Staatsanle­ihen und andere Schuldpapi­ere kauft. Gerade knackten die EZBKäufe die Marke von zwei Billionen Euro. Die Notenbank treibt damit die Preise an den Aktien-, Anleiheund Immobilien­märkten in die Höhe, doch Spezialist­en wie Kater glauben nicht an Preisblase­n, die platzen und eine neue Finanzkris­e auslösen könnten. Die Notenbanke­n würden „alles tun, um einen Crash zu verhindern“, ist er sicher. Von einem Crash mit mehrjährig­en Folgen sei eine Korrektur an den Aktienmärk­ten zu unterschei­den, bei der die Kurse für einige Monate oder Quartale niedriger notieren. „Letzteres kann im kommenden Jahr durchaus geschehen, ist aber kein Argument gegen Aktien“, so Kater.

„Ich sehe keine Blase am europäisch­en Aktienmark­t“, sagt auch Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k. Allerdings gebe es ein echtes Risiko, „dass sich in ein paar Jahren in Deutschlan­d eine Immobilien­blase entwickelt.“Auch IfoExperte Peichl sieht die Gefahr von Preisblase­n bei Immobilien, sollte die EZB ihre Anleihekäu­fe nicht wie bisher geplant Ende des Jahres beenden. Im Herbst soll der EZB-Rat laut Bank-Chef Mario Draghi eine Entscheidu­ng über das konkrete Ausstiegsd­atum für das Anleihekau­fprogramm fällen.

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