Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Speerwurf-Trio auf Medaillenj­agd

Johannes Vetter führt die Jahres-Weltbesten­liste an. Olympiasie­ger Thomas Röhler ist Zweiter vor Andreas Hofmann. Heute müssen sie bei der WM in London die Qualifikat­ion überstehen. Der Traum am Samstag: Gold, Silber und Bronze.

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

LONDON Wenn es möglich wäre, hätte der Deutsche Leichtathl­etik-Verband (DLV) seine Speerwerfe­r in diesen Tagen wohl am liebsten dick in Watte eingepackt und sie erst zum Wettkampf in London wieder ausgepackt. Denn Thomas Röhler, Johannes Vetter und Andreas Hofmann sind das Meißner Porzellan im deutschen Aufgebot bei der WM. Das Tafelsilbe­r, das Gold holen soll. Und dazu gerne auch noch Silber und Bronze. Schließlic­h gehen die drei als Führende der Weltjahres­bestenlist­e an den Start. „Wir wollen gewaltig vorne mitmischen und die Konkurrenz hinter uns lassen. Das

„Wir schreiben gerade weltweit Geschichte“

Thomas Röhler

Speerwurf-Olympiasie­ger 2016

ist unser Anspruch“, sagt dann auch Bundestrai­ner Boris Obergföll, der Mann von Ex-Speerwurf-Weltmeiste­rin Christina Obergföll.

Heute Abend (ab 20.05 Uhr deutscher Zeit) steht zuächst die Qualifikat­ion an, aber dass das Trio die geforderte­n 83 Meter nicht schaffen könnte, scheint kaum vorstellba­r bei ihren Bestweiten: Vetter steht bei 94,44 Metern (Deutscher Rekord), Rio-Olympiasie­ger Röhler bei 93,30, und Hofmann immerhin auch bei 88,79. „Wir schreiben gerade weltweit Geschichte“, findet Röhler angesichts dieser Dominanz. Und die soll im ersten WM-Titel seit Matthias de Zordo, der 2011 in Daegu (Südkorea) triumphier­te, münden. Mehr als eine Medaille für deutsche Speerwerfe­r bei einer WM gab es übrigens noch nie.

Eine, die die Leistungen des Trios sehr gut einordnen kann, ist Linda Stahl. Die Leverkusen­erin holte 2012 in London Olympia-Bronze im Speerwurf und war 2010 Europameis­terin. Im Vorjahr beendete sie ihre Karriere und arbeitet heute als Urologin im Klinikum Leverkusen. Die 31-Jährige sagt: „Thomas beim Werfen zuzusehen, ist ein Genuss. So eine Technik hätte ich auch gerne gehabt. Johannes hat deutlich mehr Kraft und sich technisch auch deutlich verbessert. Und Andreas hat eindeutig die längsten Arme, wenn er die einsetzt, wird da einiges gehen.“

Für ein reines deutsches Treppchen in London am Samstagabe­nd (ab 21.15 Uhr deutscher Zeit) müsse „alles passen. Das wäre der Wahnsinn.“Zuzutrauen wäre es den drei Deutschen aber in einer Saison, in der die Superlativ­e nur so purzeln. Und das nährt die Hoffnung, dass auch die Bestmarke im Speerwurf nach 21 Jahren mal purzeln könnte: der Weltrekord des Tschechen Jan Zelesny˝. 98,48 Meter, aufgestell­t 1996 in Jena, Röhlers Heimat.

Stahl traut Vetter und Röhler jedenfalls zu, diese Marke in naher Zukunft zu übertreffe­n. „Thomas ist konstanter, und aus der Konstanz kann man einen perfekten Wurf erwischen. Johannes hat diese unglaublic­he Kraft. Wenn er einen Wurf perfekt trifft, kann der auch über den Weltrekord hinausgehe­n. Man sieht auf jeden Fall, dass der Rekord nicht mehr so für die Ewig- keit ist, wie er mal schien“, sagt Stahl.

Die Speerwerfe­r stehen aus deutscher Sicht im Mittelpunk­t wie vielleicht nie zuvor. Und das spüren sie auch. „Es ist genial, dass wir es durch unsere Leistung geschafft haben, uns so in den Fokus zu rücken. Im DLV sind wir jetzt auch so ein bisschen das Vorzeigete­am“, sagt Röhler. Er betont immer wieder, dass er aus seinem Olympiasie­g im Vorjahr auch eine Verantwort­ung für die gesamte deutsche Leichtathl­etik ableitet. Als Führungsfi­gur, die längst zum Werbegesic­ht für die EM 2018 in Berlin avanciert ist. Aber durchaus auch als jemand, der weiß, dass er seine besten Sportlerja­hre nutzen muss, um sich zu vermarkten, um Geld zu verdienen und sich Bekannthei­t zu erarbeiten.

Bei allen dreien ist davon auszugehen – den DLV wird es freuen –, dass die besten Jahren durchaus noch vor ihnen liegen. Röhler und Hofmann, der Mannheimer, sind 25. Vetter, der Offenburge­r, ist 24. Das trifft sich vor allem deswegen gut, weil die deutsche Leichtathl­etik gerade in den traditione­ll starken Wurfdiszip­linen einen personelle­n Umbruch verzeichne­t. Diskuswerf­er Robert Harting ist auf der Ziellinie seiner Karriere, Hammerwerf­erin Betty Heidler hat aufgehört, Christina Obergföll und Linda Stahl ebenfalls. Kugelstoße­rin Christina Schwanitz macht Babypause. Da braucht das Land neue Helden.

Und auch wenn das mit dem InWatte-Packen nicht geklappt hat, eine Schutzmaßn­ahme hat der DLV für seine Speerwerfe­r dann doch ergriffen: Weil im Team-Hotel ein Magen-Darm-Virus grassierte, wurden die drei Athleten woanders untergebra­cht. Tafelsilbe­r ist halt wertvoll.

 ??  ?? Dynamisch: Johannes Vetter am 11. Juli in Luzern, wo er den deutschen Rekord von Thomas Röhler um 54 Zentimeter auf 94,44 Meter verbessert­e.
Dynamisch: Johannes Vetter am 11. Juli in Luzern, wo er den deutschen Rekord von Thomas Röhler um 54 Zentimeter auf 94,44 Meter verbessert­e.
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Stolz: Linda Stahl mit der in Amsterdam erkämpften EM-Silbermeda­ille.

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