Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Schriftste­ller, der Zahlenspie­le liebt

Der Österreich­er Franzobel stellte in der Stadtbibli­othek seinen Roman „Das Floß der Medusa“beim Literarisc­hen Sommer vor. Dabei erzählte er auch viel von sich und erklärte, woher sein Künstlerna­me stammt.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Dreimal neun ist Donnerstag. So lautet der erste Satz in Franzobels Roman „Das Floß der Medusa“. Ein paar Seiten später erklärt der Erzähler, sein alter Lehrer habe den Satz immer gesagt, wenn etwas Erstaunlic­hes passierte. Vermutlich weiß der 50-jährige Österreich­er, dass es sich hierbei um eine Reminiszen­z an Wim Thoelkes Fernsehsho­w „Drei Mal Neun“aus den siebziger Jahren handelt, die immer an einem Donnerstag ausgestrah­lt wurde. Und der Schriftste­ller liebt die Zahlenspie­le. Seine Lesung in der Stadtbibli­othek beim Literarisc­hen Sommer wollte er „am achten des achten um acht Uhr acht“beginnen lassen, aber dann erschien er doch halbwegs pünktlich zum vorgesehen­en Zeitpunkt.

Und obwohl man ihm den Wunsch nach einem Weißbier nicht erfüllen konnte, beantworte­te er brav die Frage nach seinem Künstlerna­men. „Danach werde ich jedes Mal gefragt, und im Laufe der Zeit habe ich mir ein paar lustige Versionen ausgedacht, die als Ursprung dienen könnten.“Eine davon sei, dass er bei der Übertragun­g auf einem Fernsehbil­dschirm die folgende Meldung gesehen hätte: „Fran 2:0 Bel“. Eine andere sei, dass es sich bei „Franzobel“um die Kombinatio­n seines richtigen Vornamens mit dem Geburtsnam­en seiner Mutter handele. In Wirklichke­it aber, so der Autor amüsiert, verdanke er den Namen einem „Studentenj­ux“, den er einfach nicht aufgeben wollte. Da- bei ist das reale Leben mit einem Künstlerna­men nicht immer einfach. Beispielsw­eise will die Bank wissen, warum sie Honorare für Franzobel auf das Konto von Franz Stefan Griebl verbuchen soll.

Für seine Neusser Lesung hatte Franzobel aus dem 600-Seiten-Roman einen Text kompiliert, der den vollbesetz­ten Saal fast eine Stunde lang in Atem hielt. Darin war alles enthalten, was die ungeheuerl­iche Geschichte vom Stranden des Schiffs „Medusa“, die Irrfahrt eines primitiven Floßes und den Überlebens­kampf verzweifel­ter Menschen ausmacht.

„Kannibalis­mus war unter Seeleuten nichts völlig Abwegiges, solange die Regeln eingehalte­n wurden. Sogar die allerheili­gste katholisch­e Kirche duldete den Verzehr von Menschenfl­eisch in Extremsitu­ationen. Aber 15 Überlebend­e von 147? Waren hier die Regeln eingehalte­n worden? Oder hatte man nur die eine Regel gekannt, die des Stärkeren?“sind Fragen, die der Roman thematisie­rt. Die Katastroph­e der „Medusa“war bereits die zweite Unglücksme­ldung des Jahres 1816. Der Ausbruch des indonesisc­hen Vulkans Tambora hatte in Teilen von Amerika und Europa zu ungewöhnli­cher Kälte mit schlimmen Ernteeinbu­ßen geführt.

In Franzobels Roman erfährt der Vulkanausb­ruch eine absurd anmutende Wiederholu­ng: Als der Schiffsarz­t einem an Verstopfun­g leidenden Passagier mit dem Klistier zu Leibe rückt, kommt es in dessen Gedärm zu einer gewaltigen braunen Entladung. In einer anderen fasziniere­nden Episode des gelesenen Textes haben die Hungernden auf dem Floß Visionen von einer Welt mit Telefon und Mobilität – wie sie heute selbstvers­tändlich ist.

Bei seinen Lesereisen wird der Schriftste­ller und Dramatiker immer auf das Gemälde „Le radeau de la Meduse“von Théodore Géricault angesproch­en, das im Pariser Louvre an prominente­r Stelle hängt. Franzobel kennt das Bild, erwähnt es auch in einer Szene gleich zu Anfang der Geschichte, aber es war nicht der Auslöser für seine dreijährig­e Recherche zum Roman. Da hatten die schrecklic­hen Szenen mit Flüchtling­sbooten im Mittelmeer einen größeren Einfluss: „Was ich da seit Jahren auf dem Bildschirm sehe, macht mich beinahe sprachlos.“

Was er denn als Nächstes plane, wird der Autor von über 90 Büchern gefragt. „Einen Krimi. Sozusagen als Erholung von diesem Roman.“

 ?? FOTO: STADTBIBLI­OTHEK NEUSS ?? Franzobel ist nicht nur Buchautor, sondern hat auch schon viele Theaterstü­cke geschriebe­n.
FOTO: STADTBIBLI­OTHEK NEUSS Franzobel ist nicht nur Buchautor, sondern hat auch schon viele Theaterstü­cke geschriebe­n.

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