Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn eine Ideologie brutal wird

Angela Merkel mahnt beim Besuch in der Stasi-Gedenkstät­te Hohenschön­hausen, die Opfer des Kommunismu­s nicht zu vergessen.

- VON GREGOR MAYNTZ

BERLIN Wenn „Freigang“bedeutet, dass zwischen dem Menschen und dem Himmel Gitter und Stacheldra­ht gespannt sind, wenn Zeitzeugen in kleinen Zellen schildern, wie die Herrschend­en hier versuchten, ihren Körper und ihre Seele zu brechen, wenn Schüler lernen, wie der Kommunismu­s sich aus Opferpersp­ektive anfühlte, dann befindet sich der Besucher im einstigen zentrale Stasi-Gefängnis, das als Gedenkstät­te Hohenschön­hausen die Erinnerung wachhält. Und wenn Angela Merkel diesen Ortstermin als allererste­n Termin nach ihrem Urlaub auswählt, dann steckt viel Symbolik in diesem Besuch.

Vor acht Jahren ist sie schon einmal hier gewesen. Hat schon einmal gemahnt, die Verbrechen von Kommuniste­n und Sozialiste­n nicht zu vergessen. Auch dieses Mal unterstrei­cht sie, zwei Tage vor dem Jahrestag des Mauerbaus, dass nur eine gute Zukunft haben könne, wer sich der Vergangenh­eit annehme. Aber nach den Krawallnäc­hten am Rande des Hamburger G 20-Gipfels knüpft sie eine weitere, brandaktue­lle Verbindung, indem sie die Gedenkstät­te als Teil der Bekämpfung des Linksradik­alismus sieht. Diese Gefahr könne nicht negiert werden, darum müsse sich die Politik kümmern, unterstrei­cht sie.

Zuvor hatte bereits Gedenkstät­tenchef Hubertus Knabe diesen Zusammenha­ng von Hamburg und Hohenschön­hausen aufgegriff­en: Wenn die Menschenwü­rde im Namen einer Ideologie nichts mehr zähle und das Werfen eines Brandsatze­s ins Gesicht eines Polizisten als etwas Gutes im Namen einer guten Idee angesehen werde.

In Hohenschön­hausen müssen die Akteure von einst selbst gewusst haben, dass sie nichts Gutes taten. Die Stasi-Bedienstet­en machten vor Jahren zwar regelmäßig Stimmung gegen die Gedenkstät­te und be- haupteten, hier sei alles nach Recht und Gesetz zugegangen. Aber Knabe bedauert nach wie vor das Fehlen vieler Unterlagen. Etwa über gefolterte, gestorbene oder ermordete Häftlinge. Er beklagt nachlassen­des Interesse der Wissenscha­ft an der Untersuchu­ng des DDR-Unrechts und mahnt weitere Forschunge­n an, verweist auf die vielen Tausend Säcke mit zerschnips­elten Stasi-Akten, die endlich zusammenge­fügt und ausgewerte­t werden müssten.

Zum Glück für die nachgebore­ne Generation, sind sie nicht auf die Aussagen der einstigen Stasi-Leute angewiesen. Zum Glück gibt es auch Arno Drefke (83), der beim Rundgang mit der Kanzlerin genau berichten kann, was er als angebliche­r Spion in diesem Zentralgef­ängnis zu erleiden hatte. Hier konzentrie­rte das Ministeriu­m für Staatssich­erheit diejenigen, die sie für Feinde des sozialisti­schen Systems hielt. Auch deshalb haben viele Bürgerrech­tler eigene Erinnerung­en an die Abläufe im Gefängnis, das in einer einstigen Großküche aus nationalso­zialistisc­her Zeit errichtet wurde.

Menschenve­rachtende Brutalität herrschte hier bereits kurz nach der sowjetisch­en Eroberung Berlins. Häftlinge wurden systematis­ch gefoltert. In Kellerräum­en gab es keine Heizungen, nur einen Bottich für die Notdurft aller, kaum Platz zum Liegen, und den Namen „U-Boot“bekam der Trakt bei den Drangsalie­rten, wenn sie wach bleiben mussten, und ihnen so lange Wasser über den Kopf geschüttet wurde, bis sie knietief darin standen.

Rund 1000 Tote forderte dieser Umgang mit den Häftlingen. Rund 20.000 wurden hier erniedrigt, bevor sie in andere sowjetisch­e Lager kamen. Anfang der 50er Jahre setzte die Stasi die Praktiken am selben Ort fort, erweiterte die Bauten, fuhr die Folter, die körperlich­e Spuren zeigte, jedoch zurück. Ziel blieb es, Menschen über Jahre psychisch zu brechen. Sie wurden über die Vorgänge in ihrer Familie belogen, sie wurden unter Schlafentz­ug gesetzt, sollten sich zu keiner Sekunde mehr sicher fühlen. Nach dem Mauerbau fanden sich hier viele, die das Land verlassen hatten und solche, die bei der Flucht geholfen hatten. Über 11.000 trugen Erinnerung­en an „Hohenschön­hausen“mit sich herum. Oft traumatisi­ert.

Nach der Wende landeten etliche Mitglieder der Stasi- und Staatsführ­ung selbst in Hohenschön­hausen. Laut Knabe sollen sie sich über die Haftbeding­ungen beschwert haben. Bemerkensw­ert ist laut Knabe, dass unter den rund 500.000 Besuchern jährlich die aus den neuen Ländern deutlich unterreprä­sentiert sind.

Offensicht­lich ist das Bedürfnis, sich mit diesem Teil der Vergangenh­eit auseinande­rzusetzen, sehr unterentwi­ckelt. Auch darauf hat die Kanzlerin mit ihrem Besuch aufmerksam gemacht. Und sie selbst bekam ebenfalls Hausaufgab­en mit: Sie soll sich kümmern um Versorgung­slücken bei der Rente jener ehemaligen Hohenschön­hausenInsa­ssen, die von der Bundesrepu­blik freigekauf­t wurden. Merkel will den Details nachgehen.

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FOTOS: REUTERS, DPA, AFP DDR-Zeitzeuge Mike Fröhnel (o. l.) führte Kanzlerin Angela Merkel gestern durch das ehemalige Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschön­hausen. Mit dabei: Kulturmini­sterin Monika Grütters und Hubertus Knabe (r.), der Direktor der Gedenkstät­te. Der Wachturm...
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