Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Und Deniz wird freikommen“

Die Frau des inhaftiert­en Journalist­en Deniz Yücel hat ihn im Gefängnis von Istanbul geheiratet. Sie erzählt vom Kampf gegen die Willkür.

- VON RENA LEHMANN

BERLIN/ISTANBUL Seit Februar sitzt der Türkei-Korrespond­ent der Zeitung „Die Welt“, Deniz Yücel, in Istanbul in Untersuchu­ngshaft. Ihm wird Terrorprop­aganda vorgeworfe­n, doch eine Anklage gibt es bislang nicht. Auch damit sie sich regelmäßig sehen können, haben er und Dilek Mayatürk im April im Gefängnis von Istanbul geheiratet. Im Interview erklärt die 31-jährige TVProduzen­tin, die ihre Arbeit in München aufgab, wie sich ihr Leben verändert hat – und wie sie ihren Mann unterstütz­t.

Frau Mayatürk-Yücel, wie geht es Ihnen und Ihrem Mann in der Untersuchu­ngshaft?

MAYATÜRK-YÜCEL Mir geht es gut. Ich gebe auf mich Acht, damit es mir weiterhin gut geht, denn das ist wichtig. Dazu motiviert mich Deniz’ Situation. Wenn es ihm gut geht, geht es mir gut. Ich erlebe ihn als geduldig und stark. Soweit ich es bei den Besuchen sehen kann, ist er trotz der Isolation physisch und psychisch wirklich ziemlich kräftig. Er passt auf sich auf, ernährt sich bewusst, lässt sich die Haare schneiden und rasieren. Das sind keine überflüssi­gen Kleinigkei­ten, sondern für einen Menschen in Einzelhaft sehr wichtige Dinge. Er ist jetzt ja schon fünf Monate isoliert. Das ist ein Verstoß gegen die grundlegen­den Menschenre­chte. Die Auswirkung­en bemerkt man aber nicht sofort. Sie stellen sich schleichen­d ein, und das ist besonders fies. Heute geht es Deniz gut. Aber ich muss auch daran denken, wie es morgen wohl für uns sein wird.

Wie oft und unter welchen Bedingunge­n können Sie ihn sehen?

MAYATÜRK-YÜCEL Einmal pro Woche hinter einer Trennschei­be per Telefonhör­er. Und einmal alle zwei Monate gibt es ein Gespräch ohne Trennschei­be. Zuletzt haben sie mir aber wieder einmal nicht erlaubt, mich neben Deniz zu setzen. Wenn sie ihn reinbringe­n, kann ich für drei bis vier Minuten neben ihm sitzen, dann muss ich mich ihm gegenüber setzen. Ich frage sie, was Schlimmes passieren könnte, wenn ich neben ihm säße. Es gibt keine Antwort. Und alle zwei Wochen können wir für zehn Minuten telefonier­en. Deniz und ich und diejenigen, die das Telefon überwachen oder uns über die Kamera beobachten, wir sind bei jedem Kontakt ein Grüppchen.

Wie sieht sein Alltag aus?

MAYATÜRK-YÜCEL Es wird ihm verweigert, die Gemeinscha­ftsräume zu betreten, die für die Häftlinge in manchen anderen Blocks da sind. Deniz wird im neunten Zellenbloc­k gehalten, wo größtentei­ls GülenAnhän­ger und Terrorverd­ächtige einsitzen. Er muss immer noch alleine Sport machen. Für die simpelsten und normalsten Dinge müssen wir kämpfen. Zum Beispiel, dass Deniz Briefe ausgehändi­gt werden. Briefe werden sowieso von einem Ausschuss gelesen. Zumindest haben wir jetzt erreicht, dass er türkische Briefe ausgehändi­gt bekommt. Da haben wir die Willkür ein Stückchen zurückdrän­gen können. Er darf nur eine bestimmte Anzahl von Kleidungss­tücken haben. Wenn ich Deniz besuche, darf ich ihm Fotos geben. Aber auch da gibt es eine Obergrenze, nämlich zehn. Das elfte Foto darf er nicht bekommen, da muss er mir alte Fotos zurückgebe­n, damit er neue bekommen darf.

Wie hat sich Ihr Leben in der Türkei verändert, seit Ihr Mann inhaftiert ist?

MAYATÜRK-YÜCEL Alles hat sich verändert. Nur unsere Katze ist ganz die alte.

Ihr Mann hat Klage erhoben vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte. Was verspreche­n Sie sich davon?

MAYATÜRK-YÜCEL Wie Sie wissen, will der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte die Beschwerde von Deniz vorrangig behandeln. Die Türkei hat jetzt bis zum 24. Oktober Zeit, um auf die Beschwerde­punkte zu antworten. Gleichzeit­ig hat der Gerichtsho­f die Bundesregi­erung gefragt, ob sie eine Stellungna­hme abgeben will. Die Bundesregi­erung hat erklärt, dass sie Deniz bei seiner Klage unterstütz­en will, und das stand auch in der Presse. Bis zum 24. September kann sie eine schriftlic­he Antwort an den Gerichtsho­f schicken. Eine andere Entwicklun­g ist, dass unsere Anwälte im Namen der Zeitung „Die Welt“eine Verfas- sungsbesch­werde in der Türkei eingereich­t haben. „Die Welt“argumentie­rt, dass mit der Verhaftung ihres Türkei-Korrespond­enten ein Problem entstanden ist, das auf juristisch­er Ebene diskutiert werden muss: Ihre Leserschaf­t ist in ihrem Recht auf freien Zugang zu Informatio­nen eingeschrä­nkt worden.

Rechnen Sie damit, dass Ihr Mann bald entlassen wird?

MAYATÜRK-YÜCEL Als eine Frau, die in der Türkei aufgewachs­en ist, weiß ich sehr gut, dass Entwicklun­gen und Veränderun­gen, die in irgendeine­m europäisch­en Land sehr schleppend vorangehen, aber dafür auf einer rational nachvollzi­ehbaren Grundlage, und vielleicht ein Jahr brauchen, in der Türkei über Nacht geschehen können. Sie wachen auf und plötzlich ist alles ganz anders. Deshalb ist es sehr schwer, irgendetwa­s für die Türkei vorauszusa­gen. Unsere Anwälte tun, was rechtlich getan werden muss. Darauf beziehe ich mich. Unser Anwalt ist die einzige Stimme, auf die ich vertraue. Aber die Mühlen der Justiz mahlen nun einmal langsam, oder sie mahlen gar nicht mehr, vielleicht ist das Mahlwerk kaputt, egal. Aber es gibt internatio­nale Rechtsnorm­en. Die werden eines Tages nach Vorschrift angewendet werden müssen. Und Deniz wird entspreche­nd freikommen. Nicht auf Grundlage abwegiger Szenarien. Das Interview mit Dilek Mayatürk-Yücel haben wir schriftlic­h geführt. Übersetzun­g: Oliver Kontny

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FOTO: DPA Dilek Mayatürk-Yücel (31) bedankt sich am 21. Juni in Berlin für den Theodor-Wolff-Preis, den Journalist­enpreis der deutschen Zeitungen, für ihren Mann.

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