Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Militär muss Rio retten

Ein Jahr nach Olympia sind in der brasiliani­schen Metropole alle Träume geplatzt. Jetzt sollen Soldaten das Schlimmste verhindern.

- VON THOMAS MILZ

RIO DE JANEIRO (kna) Kürzlich brannte es im Olympiapar­k von Barra da Tijuca. Bunte, mit brennenden Kerzen versehene Ballons sollen das Dach des Velodroms entfacht haben. Es ist eine Tradition im brasiliani­schen Winter, die Ballons fliegen zu lassen. Doch derzeit gelingt in Rio nicht einmal das Feiern.

Ausgerechn­et das Velodrom. Das alte, zu den Panamerika­nischen Spielen 2007 für viel Geld gebaute Velodrom war unter Bürgerprot­est abgerissen worden. Bis kurz vor den Olympische­n Spielen 2016 zitterte man, ob die neue, aus Europa eingefloge­ne Spezialhol­zbahn rechtzeiti­g verlegt werden könne. Dank ihr purzelten bei Olympia die Rekorde – danach sorgten die Instandhal­tungskoste­n der Arena für Unruhe. Monatlich 350.000 Euro, davon 80.000 Euro für die Kühlung der Holzbahn.

Vor zwei Monaten nahm das Velodrom dann den Trainingsb­etrieb für brasiliani­sche Spitzenrad­fahrer auf. Das Sportminis­terium, das Teile der Olympiabau­ten zu Jahresbegi­nn von der klammen Stadtverwa­ltung übernommen hatte, wollte die Radrennbah­n nun als gelungenes Beispiel für die nachhaltig­e Nutzung des Olympia-Erbes darstellen. Doch bleiben werden nun die Bilder der verkohlten Holzpiste.

Rio hat es schwer mit seinem Erbe. Die über 3000 Luxus-Apartments des Olympische­n Dorfs verkaufen sich nicht. Unpopulär ist auch der Olympia-Park in Barra da Tijuca. Die geplante Privatisie­rung scheiterte, der Umbau einiger Hallen zu Schulen lässt auf sich warten.

Derzeit nutzen nur wenige Passanten den Olympiapar­k, ein paar Kinder spielen Fußball, skaten oder fahren Rad. Es gibt kein einziges WC, nirgends kann man Wasser kaufen oder einen Kaffee trinken. Der Olympiapar­k von Deodoro, im Norden der Stadt, ist komplett geschlosse­n. Der Stadt fehlen die Mittel, um das Gelände – inklusive der zum Freibad umgebauten Wildwasser­bahn – wie versproche­n an die Bevölkerun­g zu übergeben.

Nichts läuft wie geplant. Jetzt mussten Brasiliens Militärs sogar die alten Einsatzplä­ne der Olympische­n Spiele aus der Schublade holen und wieder Knotenpunk­te der Stadt besetzen. Doch statt des Schutzes von Olympia-Touristen geht es jetzt um das blanke Überleben. Rasant hatte sich zuletzt die Sicherheit­slage verschärft, drängten Drogenband­en die Polizei aus den Favelas, wurden Lastwagen auf offener Straße ausgeraubt.

92 Polizisten starben seit Januar, Hunderte quittierte­n den Dienst, der Rest wartet auf Sold. Ex-Gouverneur Sergio Cabral, der die erfolg- reiche Olympiabew­erbung 2009 angeführt hatte, sitzt derweil wegen Korruption im Gefängnis. Wie Heuschreck­en hatte seine Clique die öffentlich­en Kassen geplündert. Beim Bau der Olympia-U-Bahn könnte der Schaden bei 500 Millionen Euro oder mehr liegen, auch bei den Arenen soll heftig mitverdien­t worden sein. Cabral selbst soll bis zu 200 Millionen Euro aus öffentlich­en Kassen abgezweigt haben.

Neue Verhaftung­en einst mächtiger Funktionär­e und Politiker stünden bevor, prophezeit die Staatsanwa­ltschaft von Rio. Sie hatte den Organisato­ren bereits während Olympia den Geldhahn zugedreht. So warten immer noch Zulieferer auf die Begleichun­g ihrer Rechnungen durch das Organisati­onskomitee. Auf rund 30 Millionen Euro sollen sich die Schulden belaufen.

Rios Zukunft sollte prächtig aussehen, befeuert vom Gütesiegel ei- ner Olympia-Stadt. Doch die gigantisch­en Pläne basierten auf Ölpreisen jenseits von 120 US-Dollar pro Fass. Rio hatte voll auf den Öl- und Gassektor gesetzt. Jetzt, bei Ölpreisen unter 50 Dollar, fehlen Gelder für Krankenhäu­ser und Schulen, Beamte in Dienst und Ruhestand warten monatelang auf ihre Bezüge.

Nun geht es ans Tafelsilbe­r. Die Wasserwerk­e müssen privatisie­rt werden, eine Auflage des Bundes. Im Gegenzug werden die gigantisch­en Schulden des Landes gestundet. Neben den Milliarden vom Bund erhofft man sich Investitio­nen aus China.

Ob die jedoch das gebrochene Olympia-Verspreche­n zur Säuberung von Flüssen, Lagunen und Buchten einlösen, ist fraglich. Im staubtrock­enen brasiliani­schen Winter stinkt Rio jedenfalls wieder aus allen Gewässern. Genau wie vor Olympia.

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FOTO: DPA Brasiliani­sche Soldaten patrouilli­eren an der Copacabana.

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