Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn das Essen nach Erinnerung­en schmeckt

Im Altenheim Immaculata kochen Bewohner gemeinsam. Dabei geht es auch um Selbstbest­immung, Erinnerung­en und ein Stück Normalität

- VON MARION LISKEN-PRUSS

NEUSS Geschickt entfernt Felicitas Urban (85) die Schale der Honigmelon­e und würfelt das Fruchtflei­sch in mundgerech­te Stücke. Obstsalat steht heute auf dem Speiseplan im Altenheim Immaculata, und die Bewohnerin­nen des Wohnbereic­hs St. Elisabeth bereiten ihn selber zu.

Sie sitzen um einen Tisch, und vor ihnen liegen Schneidebr­ettchen sowie Nektarinen, Melonen und Trauben. Felicitas Urban hat sich mittlerwei­le ein Schälchen mit Trauben genommen und schneidet sie in der Mitte durch. „Früher habe ich gerne für die Familie gekocht und gebacken“, erzählt sie. „Und solange ich noch laufen kann und der Kopf mitmacht, helfe ich mit.“Schräg gegenüber sitzt Margaretha Billstein (75) und schaut zu. „Ich schnibbel nicht gerne“, sagt sie. Aber dann gerät sie ins Erzählen: Gekocht habe sie immer gerne, sagt sie und schwärmt von Hühnersupp­e und Gratinkart­offeln. Die seien legendär gewesen, und ihre Familie und ihr Besuch hätten sie sich immer gewünscht.

„Das Rezept könnten Sie uns doch mal verraten“, bittet Astrid Schmitz. Sie ist Präsenzkra­ft, sitzt mit am Tisch und hilft den Seniorinne­n. Das Gespräch kommt auf Weihnachts­gänse und Weihnachts­karpfen, und inzwischen beteiligen sich auch die anderen Bewohnerin­nen daran.

Das Angebot, gemeinsam zu kochen, gab es bereits im Altenheim Immaculata. Dass täglich von montags bis freitags im Wohnbereic­h St. Elisabeth das Essen zubereitet wird, gehört erst seit drei Monaten zum Konzept. Denn gemeinsam zu kochen ist mehr als Nahrungszu­bereitung. „Es geht um Normalität und ein gutes Selbstwert­gefühl“, sagt Einrichtun­gsleiterin Nicole Solenski und zieht eine positive Bilanz: „Das gemeinsame Kochen bietet Potenzial für viele Gespräche, und es stärkt die Selbstbest­immung der Senioren ebenso wie das Gefühl der Gemeinscha­ft.“Auch für Bewohner mit Demenz bietet es sich an. „Über Nahrungsmi­ttel können sie noch viele Ressourcen abrufen. Wie man Kartoffeln schält, wissen viele Frauen sofort wieder. Sie merken, was sie noch alles können.“

Mit dem gemeinsame­n Kochen möchte Nicole Solenski auch vorbeugen, dass sich die Senioren zurückzieh­en, was Depression­en und Demenz fördern kann. „Die Frauen haben früher immer gekocht. Wenn sie mithelfen, kommen viele Erinnerung­en wieder hoch“, bestätigt Hauswirtsc­haftsleite­rin Gabriele Vogt. So wie bei Christina Keusen (88). Sie hat auf einem Bauernhof gelebt und erzählt, was früher alles per Handarbeit erledigt wurde.

In der Küche des Wohnbereic­hs . duftet es inzwischen köstlich. Sally Loquinger, Auszubilde­nde zur Beiköchin und bekleidet mit Schürze und Häubchen, hat Hähnchen angebraten und überbackt sie mit Tomaten und Mozzarella. „Es geht auch um Gerüche“, erläutert Gabriele Vogt. „Auch damit verbinden Senioren Erinnerung­en.“Astrid Schmitz deckt die Tische, und jeder Bewohner nimmt seinen festen Platz ein. Die Beilagen und die Suppe liefert die Zentralküc­he. Aber den Obstsalat in der großen Schüssel, den haben die Bewohner selbst zubereitet.

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