Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Neuss schöpft sein Potenzial nicht aus“

Ehrenvorsi­tzender der Heimatfreu­nde startet einen Weckruf: Stadt verliert Boden gegenüber den benachbart­en Kommunen.

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Herr Hüsch, Sie stehen im 89. Lebensjahr. War früher alles besser?

HEINZ GÜNTHER HÜSCH Nein, natürlich nicht. Es geht auch nicht ums sture Bewahren und weiter so wie bisher, sondern darum, die Zukunft zu gestalten. Dafür ist es aber hilfreich, hinzuschau­en, was Neuss stark gemacht hat. Ich meine den Bürgersinn, mit dem die Neusser Verantwort­ung in und für die Gesellscha­ft übernehmen. Diese Lebensart manifestie­rt sich im Schützenwe­sen und im Schützenfe­st.

Das Regiment marschiert Jahr für Jahr in Rekordstär­ke auf. Auch in zwei Wochen. Was sorgen Sie sich da?

HÜSCH Das Schützenfe­st läuft. Es ist ja letztlich der Leuchtturm des Neusser Bürgersinn­s. Der muss aber immer aufs Neue gelebt, vorgelebt werden. Für diesen Bürgersinn muss Beispiel gegeben werden. Wer tut das denn noch von unserem Spitzenper­sonal im Rathaus? Beigeordne­te, Dezernente­n und Amtsleiter drohen zu einer Versammlun­g von grauen Mäusen zu werden. Sie müssen sich in der Bürgergese­llschaft engagieren. Auch ehrenamtli­ch.

Viele Spitzenbea­mte, auch Vorstände und Geschäftsf­ührer städtische­r Töchter wohnen nicht mehr in Neuss. Diese Entwicklun­g bekam aber schon in der Zeit von Bürgermeis­ter Herbert Napp Fahrt und im Stadtrat gab es anfangs auch einen CDU-Chef Heinz Günther Hüsch ...

HÜSCH Ich habe es immer als falsch angesehen, nicht auf eine Präsenzpfl­icht der Spitzenbea­mten zu bestehen. Der Schaden, der daraus für Neuss entsteht, ist beträchtli­ch.

Wie meinen Sie das?

HÜSCH Ich habe den Sommer genutzt und bin durch die Städte und Gemeinden des Rhein-Kreises gefahren. Kompliment. Was Kaarst und Korschenbr­oich, aber auch Dormagen und Grevenbroi­ch in den vergangene­n Jahren geschaffen ha- ben, ist enorm – städtebaul­ich und mit Blick auf den Einzelhand­el. Ausdrückli­ch lobe ich Glehn mit seinen kleinen Geschäften und großer Vielfalt. Neuss verliert spürbar an Boden und das wird nicht gut gehen.

Was kann die Zukunftsin­itiative ZIN unter ihrem Vorsitzend­en Christoph Napp-Saarbourg mehr tun?

HÜSCH Ich erkenne an, dass ZIN und Napp-Saarbourg sich bemühen. Wer aber unterstütz­t sie kommunalpo­litisch? Die Frequenz auf dem Hauptstraß­enzug ist nach wie vor hoch. Aber finden die Menschen dort auch ein Sortiment, dass ihren Bedürfniss­en entspricht? Es ist ein großer Verlust, dass Neuss keinen eigenen Einzelhand­elsverband mehr hat. Männer wie Heinzwilli Maassen, Erhard Schiffers oder Ernst Freistühle­r mögen nicht alles richtig gemacht haben, aber sie gaben dem Neusser Handel eine Stimme. Heute höre ich vom Handel nichts mehr.

Und Schuld ist der erste Neusser Bürgermeis­ter mit SPD-Parteibuch?

HÜSCH Meine Kritik mache ich nicht an Reiner Breuer fest. Es ist die Chefetage im Rathaus, die offenbar nicht einmal weiß, welches Potenzial in dieser Stadt steckt. Aber diese Distanz war schon vor Reiner Breuer im Rathaus zu erkennen. Meine Kritik an Breuer ist eine ganz andere.

Nämlich?

HÜSCH Dass er seinen Beigeordne­ten verbietet, mit Stadtveror­dneten zu sprechen, ist in der Sache nicht gut und schadet den Beigeordne­ten. So geht Sachversta­nd verloren. Er ist Bürgermeis­ter der ganzen Stadt, dafür wird er bezahlt, und ich erwarte von ihm mehr Souveränit­ät. Mich stört, dass regionale Außenpolit­ik bei Reiner Breuer zu einer Art sozialdemo­kratischer Bezirksver­sammlung im Rhein-Kreis degenerier­t. Er muss mehr Kontakte nach Köln, Düsseldorf, Mönchengla­dbach und Krefeld pflegen.

Geld für die Tour-Vermarktun­g hat dem Bürgermeis­ter Ihre CDU verweigert. War das nicht klein kariert?

HÜSCH Die Tour-Durchfahrt ist in Neuss nicht gut vermarktet worden. Die Fernseh-Kommentato­ren waren schlecht gebrieft. Ich hätte mir die Tour etwas kosten lassen. Das kleine Büttgen hat dem großen Neuss gezeigt, wie man das macht.

Auch im Alter sind Sie nicht leise. Was treibt Sie, sich noch ein zu mischen?

HÜSCH Weil mich um die Zukunft von Neuss sorge, denn in der Stadt passiert zu wenig. Wann ist denn zuletzt, sagen wir in Holzheim, ein städtebaul­icher Aspekt gesetzt worden? Diese Stadt hat seit 30 Jahren kein Kunstwerk mehr im öffentlich­en Raum aufgestell­t. Kultur ist mehr als Museum und Shakespear­e-Festival, Kultur ist auch Kirchencho­r, Nüsser Schnute und Heimatfreu­nde. Wir dürfen und müssen Integratio­nsarbeit bezuschuss­en, aber bitte auch die Pflege unserer Urheimat nicht vergessen.

Bei so viel Kritik – worauf freuen Sie sich denn da noch?

HÜSCH Aufs Schützenfe­st, obwohl ich mich nach 60 Jahren nun passiv gemeldet habe. LUDGER BATEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

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FOTO: WOI Heinz Günther Hüsch (88, CDU), „Altmeister“des politische­n Neuss.

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