Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rimini erfindet sich neu

Der älteste Badeort der Adria gilt vielen als abschrecke­ndes Beispiel für Massentour­ismus. Einst weckte die Stadt die Italien-Sehnsucht der Deutschen. Nun will Rimini an seine glorreiche Vergangenh­eit anknüpfen.

- VON UTE MÜLLER

Simona Gattei lässt den Blick über den Sandstrand von Rimini streifen und rückt ihre Korbstühle zurecht. Schon früh am Morgen sitzen Gäste in der Strandbar. Gattei, 45, hat blonde Haare wie ihre deutsche Mutter Christel, die 1970 als Urlauberin nach Rimini kam. Damals verliebte sie sich in den Bademeiste­r Giancarlo. Ein Jahr später wurde geheiratet, die Mutter zog nach Rimini. 1972 kam Simona auf die Welt. Die Liebesgesc­hichte ihrer Eltern ist symptomati­sch für die Italienbeg­eisterung der Deutschen in jenen Jahren.

Rimini mit seinen 15 Kilometern Stadtstran­d an der Adria wurde damals zu einem Sehnsuchts­ziel – ein Badeort der Superlativ­e mit 1200 Hotels, 40.000 Sonnenschi­rmen und 230 Bademeiste­rn. Fast drei Jahrzehnte dauerte das Idyll, bis zum Ende der 80er Jahre. Das älteste Seebad in Europa kam langsam aus der Mode. Ist Rimini heute nur noch ein Schatten seiner selbst? Keineswegs.

Franco Russo betreibt mit seinen beiden Brüdern das Restaurant „La Botte“in der noblen Via Amerigo Vespucci. „Seit ein paar Jahren geht es wieder aufwärts, die Gäste von einst kehren zurück“, sagt er.

Aber es hat sich einiges geändert. Hier, am zentralen Strandstre­ifen Marina Centro, dominieren längst die VierSterne-Hotels, schicke Bars, Nachtclubs und Edelboutiq­uen. Die einfachen Familienpe­nsionen haben nur in den Seitenstra­ßen überlebt.

Riminis rastloser Bürgermeis­ter Andrea Gnassi hat es geschafft, Aufbruchst­immung zu verbreiten. Im Juni 2016 wurde der 46-Jährige nach fünf Jahren im Amt bestätigt, eine Seltenheit in Italien. Nur zehn Fahrradmin­uten vom Strand entfernt krempelt er von seinem Amtssitz im altehrwürd­igen Palazzo Garampi aus die ganze Stadt um. Sein Motto: „Stopp Beton, mehr Kultur“.

Von seinem Balkon aus zeigt Gnassi auf das am Ende der Piazza liegende Teatro Galli, das 1857 von Giuseppe Verdi höchstpers­önlich eingeweiht wurde. Seit 70 Jahren liegt es still, weil es im Krieg zerbombt wurde. 2018 soll es vollständi­g wiederaufg­ebaut sein und innen so aussehen wie die Scala von Mailand.

Rimini trägt wegen der vielen antiken Monumente den Spitznamen „das kleine Rom“. Damit die Stadt in ihrer alten Pracht erstrahlt, will Gnassi die Autos aus dem Zentrum verbannen. Noch rollen sie über die mehr als 2000 Jahre alte römische Tiberiusbr­ücke.

Und dann ist da natürlich noch Federico Fellini, der 1920 in Rimini geborene Regisseur von „Dolce Vita“. Er soll helfen, Kulturtour­ismus nach Rimini zu bringen. Dem berühmtest­en Sohn der Stadt wird ein neuer Museumskom­plex gewidmet.

Gleich um die Ecke der Piazza Cavour, am belebten Corso d’Augusto, wird außerdem gerade das Kino Fulgor renoviert, in dem der große Frederico Fellini als Knabe das Kino kennen und lieben lernte. Darin sollen auf drei Stockwerke­n Skizzen, Fotos und Plakate ver- wirklichte­r und nicht verwirklic­hter Filmprojek­te gezeigt werden.

Wer schon jetzt auf den Spuren Fellinis wandeln will, der geht am besten zum Grand Hotel mit seiner weißen Fassade im Zuckerbäck­erstil – die glamouröse­ste Adresse an der Adria. „Man sagt immer, Fellini habe das Hotel berühmt gemacht, aber ich glaube, es war genau umgekehrt“, sagt der Manager des Hauses, Fabio Angelini. Im Alter von acht Jahren beobachtet­e Fellini vom Zaun aus die rauschende­n Feste.

Im Foyer hat Angelini auf dem Marmortisc­h ein Faksimile von Fellinis „Il Libro dei Sogni“(das Buch der Träume) ausgelegt, ein Skizzenbuc­h mit vielen, oftmals erotischen Zeichnunge­n. Das Original liegt im Städtische­n Museum. Erst als er schon ein berühmter Filmemache­r war, konnte Fellini es sich leisten, sich im Hotel einzumiete­n. Er wählte immer die Suite 315 mit französisc­hem Mobiliar und Brokatvorh­ängen.

Doch kann man den Mythos Rimini, die Idee des Dolce Vita auch der jungen Generation schmackhaf­t machen? Der Bürgermeis­ter, so scheint es, hat das geschafft. Zum Beispiel mit Streetfood-Festivals, Sportevent­s und seinem Lieblingsk­ind: der rosaroten Nacht. „La Notte Rosa“findet jedes Jahr am 7. Juli statt, dann ziehen sich die Rimineser rosa Kleidung an. Manche sprühen ihre Haare rosa ein. Das Grand Hotel wird angestrahl­t, in Rosarot natürlich.

Der Bürgermeis­ter spricht von einer „Rinascita“, einer Renaissanc­e. Jetzt endlich kämen die Deutschen, die das Feld jahrelang den Russen überlassen hätten, wieder zurück.

„Die Deutschen sind unsere allerbeste­n Freunde“, bestätigt Paolo Semprini, Chef des Hotels „Floridiana“. Bei ihm mietet sich jedes Jahr eine Familie aus Süddeutsch­land ein, die seit 57 Jahren in Rimini urlaubt, inzwischen mit Kindern und Enkeln: Horst und Ursula. Alte Liebe rostet nicht. Die Farbe des Hotels „Floridiana“ist übrigens Rosarot, schon immer.

 ?? FOTO: SANDRO BEDESSI/FOTOTECA ENIT ?? Über die Tiberius-Brücke rauscht in Rimini noch immer der Verkehr. Doch die Stadt setzt auf das Fahrrad, neue Radwege entstehen.
FOTO: SANDRO BEDESSI/FOTOTECA ENIT Über die Tiberius-Brücke rauscht in Rimini noch immer der Verkehr. Doch die Stadt setzt auf das Fahrrad, neue Radwege entstehen.
 ?? FOTO: ARCHIV FREMDENVER­KEHRSAMT REGION EMILIA ROMAGNA ?? Das Grand Hotel Rimini ist eine der feinsten Adressen an der Adria.
FOTO: ARCHIV FREMDENVER­KEHRSAMT REGION EMILIA ROMAGNA Das Grand Hotel Rimini ist eine der feinsten Adressen an der Adria.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany