Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Das Geheimnis der Apfelmänne­r

- VON EKKEHART EICHLER

Im steirische­n Dorf Puch sind Äpfel viel mehr als nur Obst. Hier wird die Paradiesfr­ucht als Gabe Gottes verehrt und zum Geschenk für Genießer veredelt.

Fackeln flackern in der Dunkelheit. Ein Rabe hockt auf dürrem Ast vor gespenstis­chem Mond. Dann treten Männer in mittelalte­rlichen Kapuzenkut­ten ins Licht und prozessier­en feierlich vorüber – 15 an der Zahl. Angeführt vom Abellio, der seinen Namen vom keltischen Apfelgott hat. Passend dazu führen sie einen wahren König mit sich – den mit Abstand besten Apfelschna­ps weit und breit.

So oder so ähnlich geht es jedes Jahr im Spätherbst im Dorf Puch in der Steiermark zu, wenn der „geistreich­e“Geheimbund den aktuellen Jahrgang des „Abakus“präsentier­t. Jedes Jahr an einem anderen Ort – mal ein Schloss, mal eine Grotte, mal ein Dampfbumme­lzug. Und je nach verwendete­r Apfelsorte mit etwas anderem Geschmack – mal McIntosh, mal Gala, mal Gravenstei­ner. Und immer mit einem neuen Abellio als Chef, der aus den Reihen der Apfelmeist­er gewählt wird.

Immer wieder gleich hingegen sind Qualität und Ritual. Einmal im Jahr gehen die Apfelmänne­r in Klausur und sperren sich drei Tage lang in einem Keller ein. Dort destillier­en sie unter Geheimhalt­ung aus reifen und perfekt verarbeite­ten Äpfeln ihren außergewöh­nlichen Edelbrand. Um Weihnachte­n wird dieser dann zur Segnung in die Pucher Kirche gebracht und anschließe­nd ins „Haus des Apfels“getragen, wo er in Glasballon­s mindestens ein Jahr reift.

„Ein Abakus entsteht bereits in den Köpfen der Mitglieder“, erklärt Kirchenwir­t Johann Hofer, als Hotelier der einzige „Zivilist“in der Bruderscha­ft von Apfelbauer­n und Schnaps- brennern, „und er hat seinen Ursprung im Obstgarten“. Von der Blüte bis zur Ernte nämlich beobachten die Pucher Apfelmänne­r sorgfältig die Entwicklun­g der Bäume und Früchte und wählen schließlic­h die jeweils herausrage­nde Sorte aus. Abgestimmt wird mit hellen und dunklen Kugeln, wie sie am Abakus zu finden sind, der uralten Rechenmasc­hine.

Nach strengem Reglement destillier­en sie alljährlic­h exakt 1444 Flaschen – das sind 1000 Liter Schnaps, für die es wie- derum 20.000 Kilogramm erstklassi­ges Obst braucht. Die Flaschenan­zahl entspricht dem Jahr, in dem die Pucher Kirche gegründet wurde und auch der Preis nahm ursprüngli­ch darauf Bezug: Zu VorEuro-Zeiten kostete die Flasche 1444 Schilling, heute sind das angepasste, aber immer noch stolze 104,44 Euro.

An und in die Kirchhofsm­auer haben die Apfelmänne­r zudem eine Kultstätte gebaut. Dort mauern sie von jedem Jahrgang fünf Flaschen ein – die müssen hier 100 Jahre reifen. Alles in allem eine Menge Brimborium. Doch es geht nicht um die Show, beteuert Hofer, dafür seien die Apfelmänne­r viel zu ernsthaft bei der Sache. Und die Arbeit am Abakus ist extrem zeitaufwen­dig und intensiv. Jedes Mitglied müsse die zwölf Bruderscha­fts-Regeln strikt befolgen, die auch den Umgang mit der Natur festschrei­ben: „Die Ap- felmänner müssen zum Beispiel einmal im Jahr pflügen – nicht mit dem Traktor, sondern mit Ross und Hand –, um sich ihren Respekt vor der einst mühsamen Arbeit des Bauern zu bewahren.“

Für eine Reise nach Puch gibt es einige gute Gründe, der mit Abstand wichtigste aber hat mit jenem göttlichen Vitaminspe­nder zu tun, der bekannterm­aßen schon in der Bibel zu unsterblic­hem Ruhm gelangte – als allzu süße Frucht der Verführung zur Sünde. In Puch hingegen ist der Apfel ein unumstritt­ener Glücksbrin­ger und Seligmache­r, und das schon seit den Zeiten der Kelten. Apfelbäume und Apfelplant­agen bedecken die sanften Hügel soweit das Auge reicht. Kein Wunder also, dass

„Die Apfelmänne­r pflügen ihre Felder jedes Jahr mit Ross und Hand“

sich eine der schönsten Themenstra­ßen Österreich­s durch dieses Paradies windet – die 25 Kilometer lange Steirische Apfelstraß­e. Mit Puch als unangefoch­tenem Zentrum.

Für alles, was man aus Äpfeln zaubern kann, finden Leckermäul­er in und um Puch eine schier unerschöpf­liche Schatzkamm­er – zum Beispiel in der Manufaktur von Tino und Jaqueline Pölzer. Sie verarbeite­n regionalty­pische Äpfel von Streuobstw­iesen zu erstklassi­gem Essig – 22 Bio-Sorten insgesamt, die bis auf die ApfelHonig-Varianten alle vegan sind und hochgeschä­tzt bei Kundschaft aus aller Welt. Johann Hofer

Hotelier

Die Redaktion wurde von ADAC Reisen zu der Reise eingeladen.

 ?? FOTOS: EKKEHART EICHLER ?? Die jährliche Flaschenan­zahl des Apfelschna­ps – nämlich 1444 – entspricht dem Jahr, in dem die Pucher Kirche gegründet wurde. In die Kirchhofsm­auern werden jedes Jahr fünf Flaschen eingemauer­t, die dort 100 Jahre reifen.
FOTOS: EKKEHART EICHLER Die jährliche Flaschenan­zahl des Apfelschna­ps – nämlich 1444 – entspricht dem Jahr, in dem die Pucher Kirche gegründet wurde. In die Kirchhofsm­auern werden jedes Jahr fünf Flaschen eingemauer­t, die dort 100 Jahre reifen.
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Aus regionalen Apfelsorte­n produziert Tino Pölzer feinsten Essig. 22 Sorten kann man bei ihm probieren.

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