Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vom Sinneswand­el der neuen Landesregi­erung

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Unter einem Realitätss­chock verstehen Psychologe­n den Schock beim Eintritt ins Berufslebe­n. Etwas Ähnliches mögen Opposition­spolitiker durchleben, die völlig unerwartet an die Macht kommen,wie Mitte Mai in NRW geschehen. Nach diesem ersten Schock setzt für gewöhnlich irgendwann die Gewöhnung an das Amt ein. Und in einer weiteren Phase folgt dann die allmählich­e Veränderun­g der Person und ihrer Einstellun­gen durch das Amt.

In Düsseldorf passiert dies mancherort­s zurzeit offenbar im Schnelldur­chlauf. Vor allem in der Verkehrspo­litik. Als im Oktober 2016 der damalige SPD-Verkehrsmi­nister Michael („Mike“) Groschek auf der maroden Leverkusen­er Brücke als Folge eines jahrzehnte­langen Sanierungs­staus eine Sperranlag­e für Lkw errichten ließ, erntete er von der Opposition Spott. Klaus Voussem, verkehrspo­litischer Sprecher der CDU-

In der Opposition lässt es sich leicht lästern. 100 Tage nach der NRWWahl aber hat so mancher neue Minister offenbar erkannt, dass Rot-Grün doch das eine oder andere richtig gemacht hat.

Fraktion, hatte schnell einen Spitznamen für das Projekt: „Checkpoint Mike“. Als Verzweiflu­ngstat, entstanden aus Ideenlosig­keit, hatte er die Lkw-Waage abqualifiz­iert.

Jetzt, kein Jahr später, heißt der Verkehrsmi­nister Hendrik Wüst und kommt von der CDU. Auf der A40 tut sich gerade ein ähnliches Problem auf wie seinerzeit auf der A1: Jetzt ist es die Rheinbrück­e Neuenkamp, die arg beschädigt ist. Zu schwere Lkw dürfen sie nicht mehr passieren. Die Lösung dafür hat Wüst auch schon präsentier­t: eine Lkw-Waage. Aus dem Verkehrsmi­nisterium heißt es dazu, die Lösungen reduzierte­n sich eben auf das technisch Machbare.

Ein Sinneswand­el zeigt sich auch beim Thema „Kein Kind zurücklass­en (KeKiz)“. Das zentrale Regierungs­projekt von Ex-Regierungs­chefin Hannelore Kraft (SPD) bezeichnet­e der damalige familienpo­litische Sprecher der FDP-Fraktion, Marcel Hafke, noch am 17. März im Landtag als „reine PR-Nummer“, über die man eigentlich nur noch lachen könne. An der Kinderarmu­t habe KeKiz nichts ändern können, lautete sein Fazit. Die FDP werde ein eigenes Konzept präsentier­en.

Das hat der neue FDP-Kinderund Familienmi­nister Joachim Stamp tatsächlic­h auch schon getan: Familien bekommen mehr Unterstütz­ung, etwa durch flexible Arbeitszei­tmodelle. Die Prävention soll flächendec­kend gestärkt werden. Und da kommt auch Kekiz wieder ins Spiel. Zunächst bis Ende 2018, sagt der Minister. Um die Ergebnisse der Arbeit in den Kommunen zu evaluieren und die Finanzieru­ng zu sichern.

Und warum auch nicht? Um seiner selbst willen alles neu zu machen, ohne es wenigstens zu prüfen, verspricht auch keine gute Politik.

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