Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Immer mehr Menschen haben zwei Jobs

Die Statistike­n zum deutschen Arbeitsmar­kt zeigen eine gute Konjunktur und niedrige Arbeitslos­enzahlen. Trotzdem machen immer mehr Menschen zusätzlich zu ihrer festen Stelle einen Nebenjob auf 450-Euro-Basis.

- VON MERLIN BARTEL

DÜSSELDORF Arbeit ist das halbe Leben, besagt ein Sprichwort. Bei einem Teil der Bevölkerun­g nimmt sie sogar noch mehr Zeit in Anspruch – und dieser Anteil wächst. Der Beschäftig­ungsstatis­tik der Bundesagen­tur für Arbeit zufolge haben immer mehr Menschen in Deutschlan­d neben ihrem Hauptberuf einen Nebenjob. Nach Angaben der Behörde gingen Ende vergangene­n Jahres fast 2,7 Millionen Arbeitnehm­er zusätzlich einer geringfügi­gen Beschäftig­ung nach.

Die deutsche Wirtschaft entwickelt sich positiv, die Arbeitslos­igkeit ist niedrig – und trotzdem gibt es einen gegensätzl­ichen Trend: „In den vergangene­n Jahren hat es einen starken Anstieg bei Nebenjobbe­rn gegeben“, sagt Enzo Weber, Forscher am Institut für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung. „Seit den Hartz-Reformen hat sich die Zahl mehr als verdoppelt.“Im Jahr 2003 hatten lediglich 1,2 Millionen Menschen einen Minijob neben ihrer Festanstel­lung.

Dabei sind nicht nur Teilzeitbe­schäftigte doppelt aktiv: Mehr als die Hälfte der Menschen, die einen Haupt- und einen Minijob haben, arbeitet im Hauptjob in Vollzeit. Bedeutet: Schichtbeg­inn nach Feierabend – oder früh morgens vor Dienstantr­itt.

Was bewegt jemanden dazu, mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten? Vor allem Menschen mit einem unterdurch­schnittlic­hen Gehalt im Hauptjob haben einen Minijob, erklärt der Arbeitsmar­ktforscher. Doch nicht in allen Fällen ist finanziell­e Not der Grund: „Viele tun das, weil es praktisch ist“, meint Weber.

Der einfache Grund: Beim ersten Minijob ist brutto gleich netto. Der Arbeitnehm­er zahlt keine Abgaben für die Arbeitslos­en-, Kranken- und Pflegevers­icherung. Diese gesetzlich­en Regelungen wurden im Zuge der Hartz-Reformen beschlosse­n und begünstige­n seitdem Arbeit- nehmer, die über geringfügi­ge Nebenbesch­äftigungen bis zu 450 Euro pro Monat dazuverdie­nen.

Im Jahr 2013 wurde zwar eine Rentenvers­icherungsp­flicht eingeführt, „man kann sich aber mit einem einfachen Kreuz davon befreien lassen“, sagt Enzo Weber, „und das tun auch die meisten.“Diese Entscheidu­ng, kurzfristi­g Geld zu sparen, könne sich jedoch im Alter rächen. Bei der Rente könne es ein „böses Erwachen“geben.

CDU-Generalsek­retär Peter Tauber hatte im Juli für Empörung gesorgt, als er im Kurznachri­chtendiens­t Twitter schrieb: „Wenn Sie was Ordentlich­es gelernt haben, brauchen Sie keine drei Minijobs.“Doch die Rechnung geht nicht auf.

Mehrheitli­ch sind es Menschen mittleren Alters, die bereits eine Be- rufsausbil­dung abgeschlos­sen haben (rund 67 Prozent); etwa 15 Prozent der Minijobber haben jedoch keinen Abschluss. Doch selbst Akademiker (rund neun Prozent) nehmen einen zusätzlich­en Job an. Frauen haben etwas häufiger einen zweiten Job als Männer.

Die meisten Nebenjobs gibt es im Einzelhand­el und im Gastgewerb­e, doch auch im Gesundheit­s- und Sozialwese­n sind zahlreiche Stellen frei. Die Analyse zeigt außerdem, dass die Nebenjobbe­r hauptberuf­lich insbesonde­re im verarbeite­nden Gewerbe beschäftig­t sind.

Aus Sicht des Forschers sind Minijobs nicht mehr sinnvoll. „Im Sinne einer nachhaltig­en berufliche­n Entwicklun­g müsste man Geringverd­iener bei ihren Erstjobs entweder steuerlich oder bei den Sozialabga­ben stärker entlasten“, sagt Weber. Durch den Wegfall von Minijobs würden mehr sozialvers­icherungsp­flichtige Jobs entstehen.

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QUELLE: BUNDESAGEN­TUR FÜR ARBEIT | FOTO: THINKSTOCK | GRAFIK: FERL

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