Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Denkmal für einen treuen Hund

Auf den Spuren eines klassische­n Familienau­sflugs: Zwischen Solingen, Remscheid und Opladen geht es an der Wupper entlang zu einem ungewöhnli­chen Standbild. Zur Belohnung lockt eine Kaffeetafe­l.

- VON SYLVIA BINNER

SOLINGEN Nicht alle Ausflüge aus Kindertage­n bleiben in Erinnerung. Sonntäglic­he Mittagesse­n, bei denen kein Streichelz­oo oder Ponyhof in der Nähe war? Vergessen. Lange Kuchenschl­achten, bei denen sich die Erwachsene­n in öde Gespräche vertieften? Wie ausgelösch­t. Ganz anders der Ausflug zum Rüdenstein und ins Tal der Wupper, der mindestens einmal pro Sommer bei den wöchentlic­hen Ausflügen mit meiner Großtante Else auf dem Programm stand. Und obwohl der tierische Hauptdarst­eller weit entfernt davon ist, ein weiches Fell zu tragen, hat die Geschichte vom jungen Herzog und seinem treuen Hund gereicht, um die Fantasie jedes Mal aufs Neue Purzelbäum­e schlagen zu lassen. Dabei zeigt der Rüde im Wald über dem Tal der Wupper vom hohen Sockel aus seine kalte Schulter.

Mehr als vier Jahrzehnte und ein Studium im Nebenfach Geschichte später wirkt die Geschichte um Herzog Robert von Berg von der Faktenlage reichlich dünn: Vor dem Christfest des Jahres 1424 soll der junge Ritter mit seinen Kumpanen auf dem Heimweg von der Jagd gewesen sein. Tiefer Schnee machte den Ritt nach Solingen beschwerli­ch. Um sich gegen den schneidend­en Wind und die Eiseskälte zu schützen, hatten sich die Männer fest in ihre Umhänge gehüllt und die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen. So bemerkten sie spät, dass der junge Herzog fehlte. Sie stießen wieder und wieder ins Horn. Keine Antwort. Da hörten sie lautes Gebell, und durch den tiefen Schnee stürmte ein Rüde heran. Er jaulte und jammerte, sprang an den Pferden hoch, bis die Reiter bereit waren, ihm zu folgen. Und er führte sie zu dem Platz in den Wupperberg­en, wo sie Herzog Robert steif gefroren, aber gerade noch rechtzeiti­g fanden. Der junge Herr hatte einen Hirsch verfolgt und war dabei vom Pferd und den Steilhang hinunterge­stürzt. Er wäre tot. Erfroren. Wenn nicht der treue Hund gewesen wäre. Dem setzte Robert von Berg zum Dank ein Denkmal. Schon als Kind habe ich für den armen, namenlosen Hund gehofft, dass außerdem noch ein Knochen drin war. Und überhaupt: Heldenhaft­er Lebensrett­er und noch nicht mal einen Namen. Eine himmelschr­eiende Ungerechti­gkeit. Geschichte wird eben von Siegern geschriebe­n, menschlich­en Siegern wohlgemerk­t.

Apropos Geschichts­schreibung. Verbürgt ist an dieser Geschichte nicht viel. Noch nicht mal die Figur des jungen Herzogs selbst. Es kann ihn gegeben haben, muss aber nicht. Das tut aber der Faszinatio­n der rührenden Sage keinen Abbruch. In meiner Erinnerung gespeist von den Erzählunge­n der resoluten Großtante Else, einer lustigen Witwe, die das Leben zu nehmen wusste, obwohl ihr Mann im Krieg gefallen war, und der eigenen blühenden Fantasie. Nie durfte der wenige Minuten kurze Aufstieg zum Rüden fehlen, wenn das Tal der Wupper zwischen Solingen, Remscheid und Opladen angesteuer­t wurde.

Genauso wenig wie die Einkehr in der gleichnami­gen Gaststätte „Rüdenstein“im Ortsteil Obenrüden. Dort lässt es sich auf dem Rasen zwischen dem Fachwerk-Ensemble und der Wupper auf der großen Wiese sitzen, Waffeln mit oder ohne Kirschen und Milchreis oder gleich eine opulente Bergische Kaffeetafe­l verzehren und in die Sonne blinzeln. Auf die Kinder von heute wartet danach ein Piratensch­iff zum Herumklett­ern auf dem Spielplatz am Ufer. Ein Karussell mit wilden Tieren dreht sich im Kreis. Und die Giraffe musste einen Knoten in ihren langen Hals machen, damit sie unter den Baldachin passt. Von wegen früher war alles besser.

Mitten in der Pampa steht ein Wegweiser. Rechts geht’s zurück nach Obenrüden, links nach Untenrüden. Und man fragt sich, ob man sich an einer imaginären Grenze befindet. Irgendwie skurril. Ansonsten ist die Beschilder­ung gut für Wanderunge­n aller Art. Für Kinderwage­n, Rollstuhl und alle, die es nicht so anstrengen­d mögen, gibt es Wege aller Längen entlang der Wupper. Nahezu topfeben. Immer wieder lässt sich über eine Brücke das Ufer wechseln und damit Abwechslun­g finden. Am Wegesrand liegt das verwaiste Restaurant Haus Fähr. Es scheint, als habe die Ausflugsga­stronomie, die Großtante Else nicht nur im Tal der Wupper in- und auswendig kannte, damals bessere Zeiten gesehen.

Was die Leute heute mit ihrer Freizeit anfangen, bietet Denkstoff für den Weg. Nicht dem Zeitvertre­ib, sondern dem Broterwerb diente der Wipperkott­en in der Vergangenh­eit, der als letztes erhaltenes Original an der Einmündung des Weinsberge­r Bachs in die Wupper liegt. Ein Teil der Doppelkott­enanlage ist in privater Hand, die Schleifere­i Wipperkott­en betreibt ein Fördervere­in mit dem LVR-Industriem­useum. Wer höher hinaus will, kann diverse Bergetappe­n wählen. Aber der Besuch am Denkmal war und ist Pflicht. Der kurze, steinige Anstieg ist allerdings bei nassem Wetter rutschig. Wie ein Gruß aus dem Jenseits wirkt dabei das laute Gebell, das allerdings von einem quickleben­digen Collie stammt. Fehlt nur ein Gruß von der Großtante. Aber die ist, obwohl über 100 Jahre alt geworden, längst tot. Sie hätte ihre Freude daran gehabt, von diesem Ausflug zu lesen.

Ein Rüde stürmte durch den Schnee und führte die Retter zu Herzog Robert

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Imaginäre Grenze? Rechts geht’s zurück nach Obenrüden, links nach Untenrüden.
 ??  ?? Rüde aus Stein: An den tierischen Lebensrett­er erinnert ein Denkmal in den Wupperberg­en.
Rüde aus Stein: An den tierischen Lebensrett­er erinnert ein Denkmal in den Wupperberg­en.
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Bergische Forellen frisch aus dem Räucherofe­n schmecken köstlich – auch nach dem Ausflug wieder daheim.

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