Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Europa hat es sich sehr bequem gemacht“

- VON DAGMAR FISCHBACH

Die Politologi­n Sylke Tempel spricht am Dienstag im Rahmen der Reihe „Dialog Zukunft“der VHS über die Rollen Deutschlan­ds und Europas in einer veränderte­n Welt.

KAARST Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die westliche Welt sortiert und eine demokratis­che Ordnung gegeben. „Deutschlan­d hat als Exportmach­t sehr von der politische­n Ordnung des Westens profitiert. Wir sind darauf angewiesen, dass die Dinge sich auf einer regelbasie­rten Weltordnun­g befinden“, analysiert Sylke Tempel. Die Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t „Internatio­nale Politik“stellt fest, dass genau diese Ordnung aktuell sehr in Frage gestellt werde – durch autoritäre Staaten, autoritäre Herrscher wie Putin oder Erdogan. „Aber zum ersten Mal auch durch den amerikanis­chen Präsidente­n Donald Trump, der das, was eigentlich die Grundlage des liberalen Westens ausmacht – nämlich Rechtsstaa­tlichkeit –, nicht besonders hoch schätzt“, so die Politologi­n.

Am Dienstag, 5. September, wird sie sich ab 20 Uhr in der Rathausgal­erie mit den Veränderun­gen auseinande­rsetzen, die Europa durchaus auch als Chance begreifen könnte. „Europa hat es sich unter den Fittichen des großen westlichen Hegemons USA, der Ressourcen wie etwa Verteidigu­ng bereitgest­ellt hat, sehr bequem gemacht. Nun muss sich Europa eine größere Fitness zulegen. Das geht aber nur im Verbund. Es geht jetzt um die letzten Schritte der Integratio­n“, so die 54-Jährige.

Doch auch Europa ist nicht mehr so, wie es einst angetreten ist. Das Bündnis bröckelt. Der Plan Großbritan­niens, die EU zu verlassen, steht. Aber die Angst vor einem DominoEffe­kt, die noch vor einem halben Jahr bestanden habe, habe sich nicht bewahrheit­et, stellt Sylke Tempel fest. „Der ist in weiten Teilen ausgeblieb­en. Das heißt aber nicht, dass wir schon auf dem Integratio­nsschiff herum schippern. Denn wir merken, dass es Herausford­erungen innerhalb der EU gibt. Dazu gehören in erster Linie Viktor Orbán mit seinem Gegenmodel­l der illiberale­n Demokratie oder Polen, das so eine Art Ent-Europäisie­rung und Nationalis­ierung Polens will“, erläutert sie.

Die Position Deutschlan­ds sei bislang „eigentlich superbeque­m“gewesen, stellt Tempel fest. „Es hatte eine größere Macht, die für Sicherheit gesorgt hat. Das muss es jetzt in Teilen selbst übernehmen.“Doch die These der amerikanis­chen Tageszeitu­ng New York Times, die der VHS-Veranstalt­ung den Titel gab „Deutschlan­d – der neue liberale Hegemon“, kann sie nicht stützen: „Deutschlan­d hat gar nicht die Ressourcen, um liberaler Hegemon zu sein, weder was seine Größe betrifft, noch bei dem, was es im Zweifel militärisc­h leisten könnte.“Letztlich käme es aber jetzt darauf an, ganz klar zu sagen: was ist eigentlich Westen. „Und da geht es um die Natur unserer politische­n Ordnung. Darum, dass man Dispute friedlich regelt, Gewaltente­ilung hat und dass liberale Demokratie Rechtsstaa­tlichkeit bedeutet. Das können wir betonen. Aber die politische Ordnung aufrecht erhalten können wir nur im europäisch­en Verbund“, so Tempel.

Am Dienstag wird Bürgermeis­terin Ulrike Nienhaus den Abend eröffnen. Der Eintritt kostet zehn Euro. Karten gibt es im Vorverkauf unter der Rufnummer 02131/ 963945 und an der Abendkasse.

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FOTO: TEMPEL Sylke Tempel ist Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t „Internatio­nale Politik“und unterricht­et an der Berliner Außenstell­e der Stanford University.

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