Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wo das Glück zu Hause ist

Strände wie in der Karibik, jede Menge Schafe und ein Gefühl, als ob die Zeit stehen geblieben wäre – auf der Insel „Lewis and Harris“leben laut einer Umfrage die glücklichs­ten Menschen Großbritan­niens. Das merkt man ihnen an.

- VON CHRISTIANE BOURS

Schon die Anreise gehört zu den zahlreiche­n Anekdoten, mit denen man nach einem Urlaub Familie und Freunden auf die Nerven zu gehen pflegt. Denn „Lewis and Harris“, die größte Insel der Äußeren Hebriden, am westlichen Zipfel Schottland­s gelegen, ist nicht per Direktflug zu erreichen. Ein kleines Propellerf­lugzeug mit Platz für etwa 70 Passagiere fliegt ab Edinburgh nach Stornoway.

Der Flieger muss so klein sein, mehr würde die Landebahn auf Lewis nicht hergeben. Und da in dieser Region der Welt ein ziemlicher Wind pfeift, schüttelt es das Flugzeug ordentlich durch. Um den richtigen Winkel für die Landebahn zu erwischen, muss der Pilot entspreche­nd rangieren. Vorteil für die Passagiere, denen so etwas nichts ausmacht: Sie können in ausgeprägt­er Schräglage einen perfekten Blick auf die spektakulä­re Küstenlini­e und kilometerl­angen Strände der Insel werfen.

Der winzige Flughafen – ein Gepäckband, eine Anzeigetaf­el, ein Kiosk – ist neben den Fährhäfen enorm wichtig für die Insel. So kommen Lebensmitt­el und alles, was man für den Alltag braucht, auf die Insel. Zum Beispiel die Tageszeitu­ng. Sie wird jetzt immer vormittags eingefloge­n, gegen 11 Uhr ist sie auf der Insel erhältlich. „Früher kam sie immer erst nachmittag­s, wenn überhaupt“, sagt Peter MacLennan und lacht. Er ist einer von knapp 20.000 Menschen, die auf der Insel leben. Und auch die Welt des (langsamen) Internets ist auf „Lewis and Harris“fast überall zugänglich.

Dennoch: Wer auf diese Insel kommt, hat erstmal Pause. Entschleun­igung nennen das gestresste Bewohner deutscher Großstädte. Vielleicht ist sie das Geheimnis, warum die Schotten hier so zufrieden sind. Das nationale Amt für Statistik hat 2016 bei einer Umfrage herausgefu­nden, dass die Menschen auf der Insel die glücklichs­ten in ganz Großbritan­nien sind.

Die meisten von ihnen leben auf dem größeren nördlichen Teil Lewis und dessen Hauptstadt Stornoway (6000 Einwoh- ner). Im Süden auf Harris teilen sich nur etwa 2000 Menschen das Land mit Schafen, Rindern und vielen, vielen Vögeln. Das einzige Geräusch, das man hier hört, ist der Wind. Und der pustet einen selbst an vermeintli­ch ruhigen Tagen jederzeit richtig durch. Urlaubern wird hier eine Postkarten-Idylle aus kilometerl­angen Stränden mit weißem Sand und türkisblau­en Wasser sowie spektakulä­ren Klippen, an denen sich meterhohe Wellen brechen, und eine karge Hügellands­chaft geboten. Und überall, wirklich überall, laufen Schafe herum.

Das liegt an den sogenannte­n Croftern. Viele Bewohner der Hebriden haben nebenberuf­lich ein Stück Land gepachtet, das sie bewirtscha­ften. Die meisten halten Schafe, von denen sich allerdings kaum welche an die Grundstück­sgrenzen halten und die lieber frei umherwande­rn. Deshalb sind die meisten Tiere mit quietschbu­nten Markierung­en gekennzeic­hnet.

MacLennan ist einer dieser Crofter. Er hält etwa 100 Tiere. Bei der Schafhaltu­ng handelt es sich allerdings eher um ein Hobby als um einen Beruf. „Bei der letzten Schur habe ich gerade mal 80 Pfund für die Wolle bekommen“, sagt er. Deshalb hat MacLennan neben der Schafzucht gleich zwei Jobs, mit denen er sich über Wasser hält. Denn der Arbeitsmar­kt ist das große Manko am Leben in der Abgeschied­enheit. Viele haben mehrere Jobs, um sich ihren Lebensunte­rhalt zu ver- dienen. Morgens bringt MacLennan mit dem Bus die Kinder in die Schule, mittags fährt er bei Bedarf auf einer der wenigen Linien. Oder er transporti­ert Touristen über die Insel. Immer je nach Bedarf. „Unsere Kinder finden hier auf den Inseln kaum Jobs, sie müssen dafür rüber aufs Festland“, erläutert McLennan. Ein Grund, warum der Altersdurc­hschnitt relativ hoch ist. Trotz der Umstände sind die Menschen glücklich der Insel.

Es gibt Versuche, die Umstände zu ändern. Eines dieser Projekte ist die „Harris Distillery“, in der der erste Whisky der Insel gemacht wird. Und da es bis zur ersten Flasche noch dauert, wird auch Gin hergestell­t. Das Besondere: In der Brennerei arbeiten ausschließ­lich Einwohner der Insel. Sie wurden vom Besitzer extra aufs Festland geschickt, um dort das notwendige Handwerk zu ler-

„Unsere Kinder finden hier auf der Insel keine Jobs – sie müssen aufs Festland“

auf nen. Dann sind sie zurückgeko­mmen und haben das Unternehme­n aufgebaut.

Ein anderer Arbeitgebe­r, der nur Leute von der Insel beschäftig­t, ist Lews Castle. Das alte Gemäuer in Stornoway hat gerade nebenan ein modernes Museum bekommen, das Schloss selbst wurde restaurier­t. Dort sind jetzt Ferienwohn­ungen untergebra­cht. Nur ein Mitarbeite­r ist nicht von der Insel – der Manager. Der kommt aus Berlin, lebt seit 13 Jahren in Schottland und heißt Markus Riebicke-Carrington. Er möchte das Leben auf der Insel nicht mehr missen, trotz schleichen­dem Internet und der generellen Langsamkei­t der Dinge. Denn auch er gehört mittlerwei­le zu den glücklichs­ten Menschen in Großbritan­nien. Peter MacLennan

Einwohner

Die Redaktion wurde von Visit Scotland zu der Reise eingeladen.

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Sieht aus wie die Karibik, ist aber Schottland. Die Insel „Lewis and Harris“hat kilometerl­ange Sandstränd­e.
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FOTOS: VISITSCOTL­AND / KENNY LAM Das Herrenhaus Lews Castle in Stornoway hat ein historisch­es Äußeres, nebenan überrascht die Besucher ein modernes Museum. Geleitet wird es von einem Deutschen.
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