Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit Zeitarbeit Karriere machen

- VON PETER NEITZSCH

Viele Leiharbeit­er verrichten einfache Hilfsjobs. Doch es gibt auch gefragte Spezialist­en. Berufseins­teiger können erste Erfahrunge­n sammeln, müssen beim Gehalt aber Einbußen hinnehmen.

Manchmal heißt es Leiharbeit, manchmal heißt es Zeitarbeit. Das Vorurteil ist aber immer das gleiche: Hilfsjobs ohne Aussicht auf Karriere – sonst gibt es dort nichts. In vielen Fällen trifft das tatsächlic­h zu. „Der typische Leiharbeit­nehmer ist männlich, jung und unqualifiz­iert“, sagt Ilona Mirtschin, Arbeitsmar­ktexpertin der Bundesagen­tur für Arbeit.

In einer Studie hat die Agentur die Entwicklun­gen in der Zeitarbeit untersucht. Das Ergebnis: Rund eine Million Menschen arbeiten mittlerwei­le für Zeit- oder Leiharbeit­sfirmen. 70 Prozent davon sind Männer, und fast die Hälfte ist jünger als 35 Jahre. Anspruchsv­oll ist die Arbeit in der Regel nicht: „Etwa jeder zweite Zeitarbeit­sjob ist eine einfache Hilfstätig­keit“, sagt Mirtschin.

Doch das ist nur die eine Seite der Statistik. Denn in einigen Branchen bietet die Zeitarbeit durchaus Karrierech­ancen, so die Expertin: „Gerade für junge Leute kann ein Engagement bei einer Zeitarbeit­sfirma ein guter Einstieg in den Arbeitsmar­kt sein.“

Die Einsätze dauern oft nur zwei bis drei Monate – für Neueinstei­ger eine Möglichkei­t, Erfahrunge­n zu sammeln. Viele Berufsanfä­nger jobben daher als Leiharbeit­er erst einmal in unterschie­dlichen Betrieben, um sich dann für einen zu entscheide­n: „Zeitarbeit wird gerne genutzt, um sich auf dem Arbeitsmar­kt zu orientiere­n“, sagt Wolfram Linke von der IG Zeitarbeit, dem Interessen­sverband deutscher Zeitarbeit­sunternehm­en. „So kann sich etwa ein ausgebilde­ter Pfleger umsehen, ob er später in einer Klinik, einem Heim oder in der ambulanten Pflege arbeiten möchte.“

Manche entscheide­n sich sogar dauerhaft für die Zeitarbeit, sagt Linke. Gerade in der Pflege- und Medizinbra­nche böten sich so interessan­te Einsatzmög­lichkeiten: „Wir reden hier von hoch spezialisi­erten Kräften, die in ihrem Bereich auch ein Stück weit die Preise diktieren.“

Solche Formen der Zeitarbeit seien sogar für Akademiker attraktiv. Etwa im Bereich der Luft- und Raumfahrt: Hier laufen Projekte oft nur über einen begrenzten Zeitraum von zwei oder drei Jahren. „Für die Dauer des Projekts holen sich die Unternehme­n gerne Spe- zialisten an Bord“, sagt Linke. Ingenieure etwa können sich ihre Projekte so aussuchen und sich gezielt weiterbild­en.

„Die Zeiten des Lohndumpin­gs mit Hilfe der Leiharbeit sind vorbei“, sagt auch Peter Schüren, Jurist an der Universitä­t Münster und Experte für Zeitarbeit. Seit der Gesetzgebe­r die dauerhafte Überlassun­g von Arbeitnehm­ern verboten hat, nutzen Firmen das Instrument vor allem, um Bedarfsspi­tzen abzufedern. Auch die Tarifvertr­äge für Leiharbeit­er hätten sich in den vergangene­n zehn Jahren deutlich verbessert, so der Jurist.

Trotzdem bekommen die meisten Zeitarbeit­er noch immer weniger Gehalt als die Stammbeleg­schaft. Doch Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: „Akademiker im Bereich Zeitarbeit sind oft hoch spezialisi­erte Fachleute, die auf diese Weise oft deutlich mehr verdienen als in einer gewöhnlich­en Anstellung“, sagt Arbeitsmar­ktexpertin Mirtschin.

Allerdings haben gerade einmal neun Prozent der Leiharbeit­er studiert. Bei vielen Beschäftig­ten auf Zeit wechseln sich stattdesse­n Jobs mit Phasen der Arbeitslos­igkeit ab. „Viele Zeitarbeit­nehmer landen nach einem Einsatz wieder in der Grundsiche­rung, weil sie nicht lang genug in die Arbeitslos­enversiche­rung eingezahlt haben“, erklärt Mirtschin. Peter Schüren

Auch eine Übernahme durch den Einsatzbet­rieb ist eher selten. „Ein Betrieb übernimmt, wenn überhaupt, die qualifizie­rten Leiharbeit­er, aber nicht die einfachen Hilfskräft­e“, so die Expertin. Bei den Mitgliedsu­nternehmen der IG Zeitarbeit werde rund ein Drittel des Personals von den Einsatzfir­men übernommen, hält Verbandssp­recher Linke dagegen.

„Die Verbände bemühen sich sehr, das Schmuddeli­mage der Branche loszuwerde­n“, sagt Schüren. Er empfiehlt Jobsuchend­en, sich die Zeitarbeit­sfirma im Vorfeld genau anzusehen. „Wenn es Mitarbeite­r gibt, die dort schon länger arbeiten und zufrieden sind, ist das ein gutes Zeichen.“

Bei der Auswahl sollte ein Arbeitnehm­er außerdem darauf achten, dass die Firma nach Tarif zahlt und Mitglied in ei- nem Arbeitgebe­rverband ist. „Wichtig ist auch, dass sich die Zeitarbeit­sfirma um die Belange ihrer Mitarbeite­r kümmert“, rät Linke. So sollte ein Unternehme­n zum Beispiel nicht nur Arbeitskle­idung und Sicherheit­sschuhe stellen, sondern auch bei Problemen im Einsatzbet­rieb helfen.

Damit die in der Zeitarbeit gesammelte Berufserfa­hrung bei der nächsten Bewerbung etwas nutzt, sollte sie immer dokumentie­rt werden. „Ein Arbeitszeu­gnis ist Teil der gesetzlich­en Pflichten des Arbeitgebe­rs“, sagt Schüren. Auch eine Zeitarbeit­sfirma muss ihren Mitarbeite­rn also eine qualifizie­rte Beurteilun­g schreiben. Der Entleihbet­rieb kann das auch tun – allerdings freiwillig: „Bei einem längeren Arbeitsein­satz sollten Leiharbeit­er ruhig auch am Einsatzort um ein Arbeitszeu­gnis bitten.“

Recht & Arbeit „Die Zeiten des Lohndumpin­gs mit Hilfe der Leiharbeit sind vorbei“ Universitä­t Münster

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FOTOS: THINKSTOCK/ZHUYUFANG/KADMY Hilfsarbei­ter oder Fachmann – in der Zeitarbeit­sbranche gibt es mittlerwei­le Arbeitnehm­er mit ganz unterschie­dlichen Voraussetz­ungen. Die meisten Leiharbeit­er sind männlich, und fast die Hälfte ist jünger als 35 Jahre.
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