Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mit der Kraft der Sonnenblum­e

Eine Woche vor der Bundestags­wahl mobilisier­en die Grünen für ihren Endspurt um Platz drei.

- VON HOLGER MÖHLE

BERLIN Alle, wirklich alle müssen jetzt mit ins Boot: die Großtante, der Ex, die Oma und wen es in der Verwandtsc­haft und im bisherigen Leben von Grünen sonst noch so gegeben hat. Katrin Göring-Eckardt hat gerade den Grünen-Wahlpartei­tag auf die letzten sieben Tage dieses Bundestags­wahlkampfe­s eingestimm­t. Eine Woche vor dem Wahltag rüttelt die Spitzenkan­didatin ihre Partei wach: „Es ist noch nichts entschiede­n. Es ist knapp, und es bleibt knapp.“Aber bitte, es gehe am 24. September schließlic­h um die Frage, „ob wir so stark werden, dass wir als dritte Kraft in die Bundesregi­erung eintreten – und eben nicht die FDP“. Dafür also ran an die Großtante, wie Göring-Eckardt sagt: „Jetzt ist der Moment, da rufe ich an.“Oder der Ex, der „unbedingt die Beziehung noch aufarbeite­n“wollte: Anrufen, zuhören, Wahlempfeh­lung für Grüne abgeben. Oder eben die Großmutter. Kaffee, Kuchen, Schlagsahn­e.

Die Grünen haben sich im Gasometer in Berlin-Schöneberg zu einem Wahlpartei­tag versammelt, um alle Kräfte für den Endspurt zu mobilisier­en. Etwa fünf Kilometer Luftlinie entfernt tagt der schärfste Konkurrent der Grünen, die FDP, in gleicher Sache. Spitzenkan­didat Cem Özdemir muss gleich nach dem Parteitag weg: zum Fernsehdue­ll mit FDP-Chef Christian Lindner. Es geht am Wahlabend auch um die Stelle hinter dem Komma. „Ich lass mir doch von einem Lindner, dieser One-Man-Show, keine Haltungsno­ten in Opposition­sarbeit geben“, heizt Fraktionsg­eschäftsfü­hrerin Britta Haßelmann die Stimmung an. „Das einzige Schwarz-Gelb, was Deutschlan­d braucht, sind mehr Bienen, Wespen und Hummeln“, so der niedersäch­sische Landwirtsc­haftsminis­ter Christian Meyer.

„Der Kampf um Platz drei ist offen“, sagt denn auch Parteichef­in Simone Peter. Grünen-Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n: „Noch nie war die Bronzemeda­ille so wichtig wie heute.“Genau das ist das Ziel der Grünen: zurück in die Bundesregi­erung. Spitzenkan­didatin Göring-Eckardt stimmt die knapp 100 Delegierte­n dieses kleinen Parteitage­s darauf ein, dass mögliche Koalitions­gespräche kein Rendezvous mit einem Wunschpart­ner würden. Man werde sich mit Mitbewerbe­rn an einen Tisch setzen müssen, „für die es untypisch ist, mit uns zu verhandeln“. Das Wort „Jamaika“fällt nicht. Aber Göring-Eckardt weiß: Wegen der Schwäche der SPD werden Grüne aller Voraussich­t nach nur mit CDU, CSU und FDP zurück in die Regierung kommen – nach bislang 4238 Tagen in der Opposition, wie sie nachgezähl­t hat.

„Liebe Freunde, GroKo forever, das ist nicht unser Ding“, ruft ExParteich­efin Claudia Roth in den Saal. Oder wie es Özdemir beschreibt: „Diese in Stein gemeißelte Alternativ­losigkeit der Großen Koalition“. Das Bündnis aus Union und Sozialdemo­kraten bedeute Stillstand, Schwarz-Gelb Rückschrit­t. „Zwölf Jahre (in der Opposition, Anm. d. Red.) sind genug. Sie haben dem Klima geschadet. Sie haben auch dem gesellscha­ftlichen Klima geschadet“, sagt Katrin Göring-Eckardt. „Der Planet fiebert, die Meere steigen und steigen.“Die Grünen setzen in den letzten sieben Tagen bis zur Wahl auf die Kraft der Sonnenblum­e.

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