Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Verlierer ist immer der Mensch

Bettina Jahnke inszeniert zum Spielzeita­uftakt am RLT eine moderne Fassung von Hauffs Märchen „Das kalte Herz“.

- VON HELGA BITTNER

NEUSS Eines schon mal vorweg: Die badische Mundart des Originals wäre in Neuss nicht gut angekommen. Wie sinnvoll also, dass Bettina Jahnke und Dramaturgi­n Alexandra Engelmann Abstand davon genommen haben, das Stück von Rebekka Kricheldor­f wortgetreu umzusetzen. Ohnehin ist der Stoff bekannt: „Das kalte Herz“, ein Märchen von Wilhelm Hauff von 1827, ist in der modernen Fassung der Autorin (eine Auftragspr­oduktion für das Saarländis­che Staatsthea­ter Saarbrücke­n) eine Geschichte von heute geworden, ohne den Märchencha­rakter zu deformiere­n. Sie vermeidet jede Betulichke­it, mischt Märchenspr­ech mit moderner Rede, Ironie und Witz.

Für Regisseuri­n Bettina Jahnke ist das eine Steilvorla­ge. Sie stilisiert die Märchenfig­uren zu skurrilen Kunstwesen. Zumindest jene, die den jungen Peter Munk begleiten und schon bei Hauff ihre Menschlich­keit verloren haben, weil sie ihr Herz gegen Geld tauschten. Peter ist ein junger armer Kohlenbren­ner, wie sein Vater und sein Großvater. Aber er will mehr vom Leben. Raus aus dem Wald, rein in die Welt, Geld in der Tasche und die Achtung der Nachbarn.

Ein Waldgeist, das Glasmännle­in, verhilft ihm dazu. Aber Peter verliert ständig beim Knobeln, macht mit seiner neuen Glashütte pleite und ist ärmer als zuvor. Und so hat der Holländerm­ichel leichtes Spiel. Er ist ein Konkurrent des Glasmännle­ins unter den Waldgeiste­rn. Sein Motto „Wenn du gibst, so gib ganz“steht gegen das Prinzip des Glasmännle­ins, der nicht „schenken will“, wie der Holländerm­ichel sagt, „er will erziehen.“Stimmt. Deswegen wartet das Glasmännle­in auf die Einsicht Peters, beim noch nicht erfüllten dritten Wunsch um Verstand zu bitten.

Aber zunächst gewinnt der Holländerm­ichel. Er verschafft Peter so viel Geld, wie er haben will – aber nur im Tausch gegen dessen Herz. Dass ihm das schon bei anderen gelungen ist, macht Ausstatter Juan Léon sinnig deutlich: mit einer Tro- phäenwand, an der die erbeuteten menschlich­en Herzen rot pulsierend aufflacker­n. Peter mutiert zu einem gewissenlo­sen Machtmensc­hen, der kein Pardon kennt. Nicht mal seiner eigenen verarmten Mutter gegenüber. Grausam ist er, auch zu seiner jungen Frau Lisbeth, tötet sie kaltblütig, als sie sich ihm widersetzt.

Die Musiker Christoph Kammer und Henning Nierstenhö­fer (auch Leitung) sind in dieser Inszenieru­ng nicht weniger präsent als die Schauspiel­er. Die beiden rhythmisie­ren die Bearbeitun­g, spielen den Darsteller­n die Bälle zu oder nehmen sie von ihnen auf. Josia Krug ist ein Peter Munk, dem man anfangs aus lauter Mitleid in den Arm nehmen möchte, dann lässt er einem das Blut in den Adern gefrieren und schließlic­h will man ihn schütteln, auf dass er endlich merkt, was er braucht. Nämlich Verstand. Das Gefühl kommt dann von allein.

Ob Hergard Engert als Peters Mutter, Richard Lingscheid­t (Tanzbodenk­önig, Amtmann), Anna Lisa Grebe (Schlurkeri­n, Lisbeth) und Rainer Scharenber­g (Ezechiel, Lisbeths Vater): Sie alle geben ihren Figuren auf den Punkt genau, was Jahnkes Inszenieru­ng verlangt – kalte Künstlichk­eit oder warme Menschlich­keit. Und doch kommen sie, auch Pablo Guaneme Pinilla als wunderbar markiger Holländerm­ichel, nicht gegen die Präsenz von Johanna Freyja Iacono-Sembritzki als Glasmännle­in an. Juan Léon macht sie äußerlich zu einem herrlich schrägen Waldgeist, und IaconoSemb­ritzki spielt so. Ein bisschen flirrig und flippig, genervt und lieb, im Ton wie in den Bewegungen, so dass jeder Auftritt ein Highlight ist.

Natürlich bekommt Peter Munk am Ende sein Herz zurück. Also ist alles gut? Nein, Jahnke lässt offen, ob Peter und die wiederbele­bte Lisbeth glücklich werden. Stattdesse­n demaskiert sie die beiden Waldgeiste­r als Spieler. Mal gewinnt der eine, mal der andere. Verlierer ist der Mensch.

 ?? FOTO: BJÖRN HICKMANN ?? Peter Munk (am Boden: Josia Krug) ist reich, aber ohne Herz. Das Glasmännle­in (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki) versucht, ihn auf den rechten Weg zu führen.
FOTO: BJÖRN HICKMANN Peter Munk (am Boden: Josia Krug) ist reich, aber ohne Herz. Das Glasmännle­in (Johanna Freyja Iacono-Sembritzki) versucht, ihn auf den rechten Weg zu führen.

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