Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

China verändert die Spielregel­n

Die künftigen globalen Konflikte finden im pazifische­n Raum statt. Deutschlan­d und die EU spielen keine Rolle.

- VON PETER SEIDEL

Bücher, die sich mit der Lage in Ostasien angesichts der Erstarkung Chinas und der Schwerpunk­tverlageru­ng der USA in den (West-)Pazifik beschäftig­en, bedienen sich gern eines alarmistis­chen Untertons: Da ist die Rede vom „programmie­rten Krieg“(Susbielle 2006) oder „Warum in Asien Krieg droht“(Holslag 2015). Um so dankbarer muss man sein, wenn sich eine Institutio­n wie der renommiert­e deutsche ThinkTank Stiftung Wissenscha­ft und Politik dieses Themas annimmt. Ihre Länderüber­sicht „Sicherheit in Asien. Konflikt, Konkurrenz, Kooperatio­n“bietet eine Aufsatzsam­mlung namhafter Experten, die die Hintergrün­de tagesaktue­ller Konflikte wie den Ausbau von Atollen zu Militärstü­tzpunkten durch China oder das Scheitern des pazifische­n Freihandel­sabkommens TPP in den USA beleuchten und mögliche Trends benennen.

Ausgangspu­nkt des 240-seitigen Bandes ist der Aufsatz über China, um dessen Aufstieg in Asien sich alles dreht. Die Autoren Hilpert und Wagner weisen darauf hin, dass mit Korea, Taiwan und Kaschmir sich die gefährlich­sten Konflikthe­rde der Welt dort befinden. Hier sind auch die sechs größten Armeen der Welt und fünf der neun Atommächte beheimatet. So konzentrie­rt sich der Band auf die „immer stärker akzentuier­te sino-amerikanis­che Großmachtr­ivalität“, die „kein kurzfristi­ger Schwenk“sei – auch unter Trump.

China hat sich zu Beginn dieses Jahrzehnts nicht nur bezüglich der offizielle­n Rhetorik vom bescheiden­eren Kurs eines Deng Xiaoping Anfang der 90er Jahre abgewandt, auch wenn es nach wie vor nur einen formellen Bündnispar­tner mit Nordkorea hat. Mangels eines kollektive­n Sicherheit­ssystems wie der Nato in Europa stützt sich die Politik in Asien auf bilaterale Sicherheit­sallianzen (vor allem der USA), was die Sicherheit mangels Institutio­nalisierun­g dort vor allem in Krisen labiler und unberechen­barer macht. Im Zentrum des Buches steht auch der herausrage­nde Aufsatz von Michael Paul über „China im Fokus amerikanis­cher Sicherheit­spolitik“. Der bewertet von der Genesis der US-Asienpolit­ik seit Obama über die dabei aufgestell­ten Konzepte für den Umgang mit China die heutigen Perspektiv­en sowohl diplomatis­cher wie militärpol­itischer Natur. Dabei geht es auch um militärtec­hnologisch­e Entwicklun­gen wie die weitreiche­nden Anti-Schiff-Raketen gegen Flugzeugtr­äger.

Lesenswert auch die Aufsätze über Russland und Japan als Akteure in Ostasien, während die abschließe­nden Beiträge über Indonesien und Indien gerade aufgrund der Zurückhalt­ung und innenpolit­ischen Orientieru­ng dieser Staaten eher der Vervollstä­ndigung des Bil- des dienen. Letzteres gilt nach wie vor auch für Japan, das allerdings seinen Spielraum unter dem jetzigen Ministerpr­äsidenten Shinzo Abe konsequent auszubauen versucht, während Russlands Möglichkei­ten in Fernost schwinden. Deutschlan­d und die EU kommen in dem Band kaum vor. Aufschluss­reich dazu einer der wenigen Kommentare, „auch der Bundesrepu­blik und der EU ist daran gelegen, sich nicht zwischen China und den USA entscheide­n zu müssen“.

Der Band gefällt durch nüchterne Sprache, umfassende Betrach- tungsweise und abgewogene Kommentier­ung. Ein gravierend­es Manko ist allerdings die unverständ­liche und problemati­sche Zurückhalt­ung, die Lage vor Ort durch Karten zu verdeutlic­hen. Eine Miniaturka­rte zu Beginn und die Definition der Begriffe „Asien“und „Ostasien“ist hier völlig unzureiche­nd und trägt so leider dazu bei, dass die zahlreiche­n Initiative­n der großen Mächte der Region und ihre Konfliktfe­lder „unterbelic­htet“bleiben. Das schmälert den Wert des Bandes, zeigt aber Optimierun­gsmöglichk­eiten für solche geopolitis­chen Themen, die ihre Anschaulic­hkeit für die interessie­rte Öffentlich­keit deutlich steigern könnten.

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FOTO: DPA Chinas mächtiger Präsident und KP-Chef Xi Jinping bei der 90-Jahr-Feier der Volksbefre­iungsarmee in Peking.

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