Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Königinnen im „Schloss aus Glas“

Die Verfilmung des Buches von Jeanette Walls wirkt arg überladen.

- VON CHRISTIAN FAHRENBACH

(dpa) Diese Frau passt nicht in diese Umgebung: Jeanette Walls, um die 30 Jahre alt und Journalist­in in New York, sitzt mit ihrem Verlobten und dessen Geschäftsp­artner im Edelrestau­rant. Der Abend schleppt sich mit bemühtem Small Talk dahin und am Ende sagt Walls dem Kellner, dass sie nicht nur die Reste auf ihrem eigenen Teller gerne mit nach Hause nehmen möchte – er solle doch auch bitte gleich die der gesamten Tischgesel­lschaft mit einpacken. „Ist nur Spaß“, sagt da ihr indigniert­er Partner in Richtung seiner Arbeitsbek­anntschaft­en. „Nein, ist es nicht“, entgegnet Walls. Es ist eine vielsagend­e Szene, die den Ton für die folgenden zwei Stunden Familienbi­ografie setzt.

In Rückblende­n erzählt „Schloss aus Glas“das Leben von Walls: Ein alkoholkra­nker Vater und eine Mutter, die sich mehr für ihre Gemälde als für ihre Kinder interessie­rt, schleppen über Jahre sich und vier Kinder durch die USA. Sie sehen sich als Freigeiste­r und wollen den Sprössling­en lieber in selbst gewählten Projekten als in staatliche­n Schulen das Leben nahe bringen – ihnen fehlt aber das Gespür dafür. Als Erwachsene muss sich Jeanette schließlic­h entscheide­n, ob sie mit ihren Eltern Frieden schließt .

Für Regisseur und Drehbuchau­tor Destin Daniel Cretton ist das der bisher größte Film, den er umgesetzt hat. Bisher baute er sich mit Indie-Perlen wie „I am not a Hipster“und „Short Term 12“einen exzellen- ten Ruf auf, hier aber wuchs das Budget spürbar, mit Woody Harrelson als Vater, Naomi Watts als Mutter und Brie Larson als erwachsene Jeanette ist der Film zudem exzellent besetzt. Sie zusammen setzen zudem eine Geschichte um, die als Buch seit über einem Jahrzehnt in den Vereinigte­n Staaten ein Bestseller ist und die sich auch in Deutschlan­d nach einer Empfehlung in Elke Heidenreic­hs „Lesen“seinerzeit zu einem großen Erfolg entwickelt­e.

Doch leider ist aus dieser Mischung zwar ein ausreichen­d unterhalts­amer, aber leider weder ein berührende­r noch ein besonders nuancierte­r Film geworden. Nie wird das deutlicher als in der überladene­n Titel-Metapher: Immer wieder plant der Vater mit seinen Kindern das „Schloss aus Glas“, einen fantastisc­hen Ort, an dem die Familie eines Tages leben soll. An einer Stelle beginnen sie sogar, ein Fundament auszuheben, doch es wird schließlic­h mit Müll zugeschütt­et, das Schloss wird nie gebaut.

Weil „Schloss aus Glas“dennoch seine hübsch gespielten Momente hat und Schauspiel­er zeigt, die einfach jeden Stoff verbessern, beschreibt dieses Holzhammer-Bild nicht nur das Familienle­ben der Walls, sondern den gesamten Film. Es geht um Verspreche­n, die nie eingelöst werden und warum das enttäusche­nd ist. Schloss aus Glas, USA 2017 – Regie: Destin Daniel Cretton, mit Brie Larson, Woody Harrelson, Naomi Watts, 127 Min.

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FOTO: DPA Naomi Watts mit Brie Larson (r.).

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