Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Königinnen im „Schloss aus Glas“
Die Verfilmung des Buches von Jeanette Walls wirkt arg überladen.
(dpa) Diese Frau passt nicht in diese Umgebung: Jeanette Walls, um die 30 Jahre alt und Journalistin in New York, sitzt mit ihrem Verlobten und dessen Geschäftspartner im Edelrestaurant. Der Abend schleppt sich mit bemühtem Small Talk dahin und am Ende sagt Walls dem Kellner, dass sie nicht nur die Reste auf ihrem eigenen Teller gerne mit nach Hause nehmen möchte – er solle doch auch bitte gleich die der gesamten Tischgesellschaft mit einpacken. „Ist nur Spaß“, sagt da ihr indignierter Partner in Richtung seiner Arbeitsbekanntschaften. „Nein, ist es nicht“, entgegnet Walls. Es ist eine vielsagende Szene, die den Ton für die folgenden zwei Stunden Familienbiografie setzt.
In Rückblenden erzählt „Schloss aus Glas“das Leben von Walls: Ein alkoholkranker Vater und eine Mutter, die sich mehr für ihre Gemälde als für ihre Kinder interessiert, schleppen über Jahre sich und vier Kinder durch die USA. Sie sehen sich als Freigeister und wollen den Sprösslingen lieber in selbst gewählten Projekten als in staatlichen Schulen das Leben nahe bringen – ihnen fehlt aber das Gespür dafür. Als Erwachsene muss sich Jeanette schließlich entscheiden, ob sie mit ihren Eltern Frieden schließt .
Für Regisseur und Drehbuchautor Destin Daniel Cretton ist das der bisher größte Film, den er umgesetzt hat. Bisher baute er sich mit Indie-Perlen wie „I am not a Hipster“und „Short Term 12“einen exzellen- ten Ruf auf, hier aber wuchs das Budget spürbar, mit Woody Harrelson als Vater, Naomi Watts als Mutter und Brie Larson als erwachsene Jeanette ist der Film zudem exzellent besetzt. Sie zusammen setzen zudem eine Geschichte um, die als Buch seit über einem Jahrzehnt in den Vereinigten Staaten ein Bestseller ist und die sich auch in Deutschland nach einer Empfehlung in Elke Heidenreichs „Lesen“seinerzeit zu einem großen Erfolg entwickelte.
Doch leider ist aus dieser Mischung zwar ein ausreichend unterhaltsamer, aber leider weder ein berührender noch ein besonders nuancierter Film geworden. Nie wird das deutlicher als in der überladenen Titel-Metapher: Immer wieder plant der Vater mit seinen Kindern das „Schloss aus Glas“, einen fantastischen Ort, an dem die Familie eines Tages leben soll. An einer Stelle beginnen sie sogar, ein Fundament auszuheben, doch es wird schließlich mit Müll zugeschüttet, das Schloss wird nie gebaut.
Weil „Schloss aus Glas“dennoch seine hübsch gespielten Momente hat und Schauspieler zeigt, die einfach jeden Stoff verbessern, beschreibt dieses Holzhammer-Bild nicht nur das Familienleben der Walls, sondern den gesamten Film. Es geht um Versprechen, die nie eingelöst werden und warum das enttäuschend ist. Schloss aus Glas, USA 2017 – Regie: Destin Daniel Cretton, mit Brie Larson, Woody Harrelson, Naomi Watts, 127 Min.