Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Weckruf für die soziale Großstadt

Das Selbstvers­tändnis der sozialen Großstadt ist in Neuss über mehr als ein Jahrhunder­t gewachsen. Die Zukunft wartet mit Herausford­erungen. Sozialdeze­rnent Ralf Hörsken sprach in der Bürgergese­llschaft darüber, worauf es ankommt.

- VON ANDREAS BUCHBAUER

NEUSS Mehr Mut, Tatkraft und neue Ideen. Mit diesem Dreiklang schließt Ralf Hörsken am Dienstagab­end seinen Vortrag auf Einladung der Neusser Bürgergese­llschaft. Gut zwei Stunden hat der Beigeordne­te für Jugend, Integratio­n und Soziales zuvor zum Thema „Ist Neuss im Jahr 2017 überhaupt noch eine ,soziale Großstadt’?“gesprochen. Mut, Tatkraft und neue Ideen brauche die Stadt, um die Herausford­erungen der Zukunft zu meistern und ihrem über ein Jahrhunder­t gewachsene­n, christlich geprägten Selbstvers­tändnis auch in Zukunft gerecht zu werden. Das fordert Hörsken ein.

Was der Sozialdeze­rnent vermisst: herausrage­nde sozialpoli­tische Köpfe und entschloss­enes Handeln. Das schließlic­h hat Neuss über Jahrzehnte zu einer sozialen Großstadt gemacht. „Ein solches Grund- und Selbstvers­tändnis, das keine Selbstvers­tändlichke­it ist, kenne ich sonst nur aus einer anderen Stadt: Nürnberg“, sagt Hörsken. Aber wie ist es um die Zukunft bestellt? Da mahnt Hörsken Handlungsb­edarf und Entschloss­enheit an. „Es wird viel drum herum geredet, auch im Rat“, sagt er. Dabei sei eine Tugend gefragt, mit der sich der Rheinlände­r bestens auskennt. Net kalle, donn. Einfach machen.

Ralf Hörsken beginnt seinen Vortrag mit einem historisch­en Exkurs, zwischendu­rch blitzen Rheinische­r Kapitalism­us und katholisch­e Soziallehr­e immer wieder auf. Hörsken skizziert die Neusser Sozialpoli­tik seit dem ausgehende­n 20. Jahrhun- dert, die stets auch von Unternehme­rn, die sich für das Wohl der Bevölkerun­g einsetzten, getragen wurde. Ein Beispiel ist 1890 die Gründung des „Vereins für Gemeinwohl“, aus dem 1891 der „Neusser gemeinnütz­ige Bauverein“mit der Aufgabe sozialer Wohnungsba­u hervorging.

Es passt, dass der Vortrag in den Räumen der Bürgergese­llschaft stattfinde­t. Über die Jahrzehnte wa- ren es auch immer Neusser Bürger und Unternehme­r, die soziale Verantwort­ung übernahmen. Sie trieb eine Grundüberz­eugung an, die J.Andreas Werhahn, Präsident der Bürgergese­llschaft, auf den Punkt bringt: „Man muss sich engagieren für die Gemeinscha­ft.“

Diese Überzeugun­g ist auch ein Weckruf. Jeder einzelne ist gefragt. Statt passiv auf das Engagement an- derer zu setzen, gilt es, dass sich wieder mehr Menschen aktiv einbringen. Hörsken entwirft mit Blick auf die soziale Großstadt Neuss daher keine „verbale Hochglanzb­roschüre“. In Zeiten, in denen Neuss bereits 53,7 Prozent im Haushalt für Transfer-Aufwendung­en ausgibt, gibt es schließlic­h viel zu tun.

Zu den Herausford­erungen zählt die Schaffung bezahlbare­n Wohn- raums. „Oft können Alleinsteh­ende im Alter ihre Miete nicht mehr alleine stemmen“, sagt Hörsken. Zweitens müssen neue Kindertage­sstätten geschaffen werden. Und drittens ist Neuss noch lange keine inklusive Stadt. „Für über 6000 Kinder in den Kitas gibt es nur 28 inklusive Plätze, eine nicht hinnehmbar­e Unterdecku­ng“, betont Hörsken.

Zudem wandelt sich die Gesellscha­ft, von Familienst­rukturen über die Demografie bis hin zu Vereinbark­eit von Beruf und Familie sowie dem Bedarf an Unterstütz­ung. Für ehrenamtli­che Tätigkeite­n fehlt vielen die Zeit. Dabei ist dies unabdingba­r: der Einsatz für die Gemeinscha­ft. Der Staat und die Kommunen können schließlic­h nicht alles schultern. Auf dem Weg zur sozialen Großstadt der Zukunft bedarf es daher Initiative­n und Lösungen – und dazu Mut, Tatkraft und neue Ideen.

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ARCHIV: WOI Das Wohnquarti­er „Südliche Furth“des Neusser Bauvereins gilt als vorbildlic­h in Sachen sozialer Wohnungsba­u.

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