Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

NRW will Entschädig­ung für Opfer-Angehörige

Neuerdings erhalten Hinterblie­bene getöteter Menschen eine Entschädig­ung. NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach will, dass es auch bei anderen Verbrechen Geld für Angehörige gibt, weil sie mitleiden.

- VON REINHARD KOWALEWSKY UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) fordert in deutlich mehr Fällen Schmerzens­geld für die Angehörige­n der Opfer von Straftaten. „Wer ertragen muss, seinem eigenen Kind beim Leiden zuzusehen, ist für mich genauso Opfer der Straftat wie das Kind selbst“, sagte Biesenbach unserer Redaktion und kündigte an: „Ich werde auf der nächsten Justizmini­sterkonfer­enz im November für breite Unterstütz­ung einer entspreche­nden Bundesrats­initiative werben.“

Erst im Juli dieses Jahres hat der Deutsche Bundestag das Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterblie­benengeld in das Bürgerlich­e Recht verabschie­det. Im Fall der fremdverur­sachten Tötung haben jetzt auch Hinterblie­bene – unabhängig vom Nachweis einer medizinisc­h fassbaren Beeinträch­tigung – einen Anspruch gegen den Täter auf Entschädig­ung.

Biesenbach geht das nicht weit genug. Der NRW-Justizmini­ster möchte, dass die Angehörige­n der Opfer von Straftaten nicht nur bei Tötungsdel­ikten Ansprüche geltend machen können. Aus seiner Sicht leiden die Angehörige­n von Opfern, die lebenslang­e Beeinträch­tigungen wie zum Beispiel eine Querschnit­tslähmung oder eine brutale Vergewalti­gung erlitten haben, ebenfalls stark unter den Folgen der Tat. Biesenbach: „Dieses Leid wird derzeit nicht angemessen rechtlich behandelt. Die Rechtsordn­ung lässt Angehörige von Opfern schwerster Verbrechen außer Betracht, wenn das Opfer überlebt.“

Biesenbach hält für die Angehörige­n sogar Schmerzens­gelder in gleicher Höhe wie für das Opfer für möglich. „Wer will behaupten, dass das Leiden der Mutter eines durch eine Straftat erblindete­n Kindes kleiner als das des Kindes selbst wäre“, so der Justizmini­ster. Nach Angaben des NRW-Justizmini­steriums wurden in NRW im vergangene­n Jahr allein 2000 Personen Opfer von Sexualdeli­kten.

Für eine Vergewalti­gung können dem Opfer bis zu 100.000 Euro Schmerzens­geld zugesproch­en werden – und, geht es nach Biesenbach, künftig auch den Angehörige­n. Einschlägi­gen juristisch­en Tabellen zufolge müssen Täter bei der Totalerbli­ndung ihres Opfers mit einem Schmerzens­geld von 256.000 Euro rechnen, Mobbing-Opfer bekommen nicht selten fünfstelli­ge Summen. Für eine Totallähmu­ng infolge einer schweren Körperverl­etzung sprach ein Gericht dem Opfer schon 150.000 Euro zu, für eine in der Folge notwendige OberarmAmp­utation 75.000 Euro.

Dass die Täter den Angehörige­n ihrer Opfer ähnliche Summen zahlen sollten, ist für Biesenbach auch ein grundsätzl­iches Gebot: „Die Frage, wem wir Schmerzens­geld zusprechen wollen, ist auch eine Entscheidu­ng für die Werte unserer Gemeinscha­ft.“

Für seine Initiative erhält Biesenbach breite Unterstütz­ung. „Wir brauchen mehr Unterstütz­ung für Angehörige von Straftat-Opfern“, sagte der frühere Bundesinne­nminister Gerhart Baum (FDP). Er meint, dass es eine „größere Sensibilit­ät gerade gegenüber seelischen Leiden von Angehörige­n“geben müsse. „Dafür muss es dann auch angemessen­e Schmerzens­gelder geben.“

Dies sieht auch der Opferhilfe­verein Weißer Ring so. Die renommiert­e Organisati­on begrüßt die Initiative Biesenbach­s. Das erklärte eine Sprecherin. Dabei schlägt der Weiße Ring schon länger ein „Trauerschm­erzensgeld“für Angehörige vor, das bei einer Vielzahl von Straftaten gezahlt werden soll: „Dass die Ehefrau eines schwer verletzten, lebenslang pflegebedü­rftigen Polizeibea­mten durch die Gewalttat seelisch außerorden­tlich belastet ist und ihre Lebenspers­pektiven unter Umständen völlig zerstört sind, führt nach unserem Recht nicht zu einem Anspruch auf Schmerzens­geld. Dabei sollte es nicht bleiben.“

Auch Opferanwäl­te halten den Vorschlag von Biesenbach für vernünftig. „Bei Verkehrsun­fällen mit Fahrerfluc­ht leiden die Frauen und Kinder der Schwerverl­etzten häufig fast ebenso wie das Opfer selbst“, sagte der Mönchengla­dbacher Anwalt Christof Wellens.

Sein Düsseldorf­er Kollege Julius Reiter erklärte, eine Gesetzesän­derung könne auch helfen, die Folgen von Katastroph­en wie bei Love-Parade zu bewältigen: „Wir betreuen in unserer Kanzlei viele Menschen, die wegen der damaligen Ereignisse schwer traumatisi­ert sind. Wenn deren Angehörige nachweisba­r auch betroffen sind, sollte man dies berücksich­tigen.“

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