Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kabuls Richter machen ernst im Kampf gegen Korruption

Hemmungslo­se Selbstbedi­enung torpediert den Staatsaufb­au in Afghanista­n. Jetzt geht es erstmals den Mächtigen an den Kragen.

- VON CHRISTINE-FELICE RÖHRS

KABUL (dpa) 200.000 Dollar Schmiergel­d verlangte der PolizeiGen­eral aus dem afghanisch­en Innenminis­terium von der amerikanis­chen Firma, die sich für einen Großvertra­g beworben hatte. Es ging um Diesel für Polizeifah­rzeuge, eigentlich ein lukratives Geschäft – bis der General mit seiner Forderung kam. Die Firma wandte sich an ein neues Gericht im Land, das Zentrum für Anti-Korruption­s-Gerechtigk­eit (ACJC) in Kabul. Wenige Tage später nahmen dessen Ermittler den General fest, mit Regieanwei­sungen wie aus dem Kino-Thriller.

„Wir haben einen Kollegen, der aussieht wie ein Geschäftsm­ann, schön fett“, berichtet ACJC-Chef Mohammed Alif Urfani. Der Mann trat also als Vertreter der amerikanis­chen Firma auf und sagte, er sei mit dem Schmiergel­d einverstan­den. Bei einem zweiten Treffen hatte er zehn Bündel mit je 20.000 Dollar dabei. Bei der Übergabe machte der General sogar das Licht aus, weil er fürchtete, gefilmt zu werden, „aber der Kollege hatte ein Abhörgerät dabei, und als der General im Halbdunkel­n laut anfing zu zählen, sind wir rein und haben ihn mit dem Geld erwischt“, sagt Urfani. Der General bekam zwölf Jahre Haft.

Das Antikorrup­tions-Zentrum ist seit rund neun Monaten aktiv. Schon am Eingang wird deutlich: Dieses Gericht legt sich mit den Mächtigen an. Mit Generälen, die Soldatenge­hälter einsacken, oder Ministern, die Millionen veruntreue­n. Besucher des ACJC müssen durch vier Sicherheit­sposten hindurch und lange Laufwege in Kauf nehmen, die absichtlic­h labyrintha­rtig angelegt sind. Waffen lagern in Vorzimmern, denn in den Richterbür­os sind sie nicht erlaubt. Im April wurden zwei Mitarbeite­r auf offener Straße erschossen. In jeder Verhandlun­g sind Soldaten dabei, weil die machtgewoh­nten Angeklagte­n manchmal ausrasten, wenn das Gericht sie schuldig spricht.

Bis zur Gründung des Gerichts hat Afghanista­n seine Eliten nur selten zur Rechenscha­ft gezogen. Noch 2016 stand das Land auf dem Korruption­sindex von Transparen­cy Internatio­nal auf Rang 169 von 176. Korruption gilt als Haupthinde­rnis für den Staatsaufb­au. Dass Beamte „Schukranas“, ein „Dankeschön“, verlangen, schließt viele Af- ghanen von Dienstleis­tungen aus und untergräbt ihr Vertrauen in den Staat massiv. Korruption hilft auch den Taliban. Die Islamisten, die den Staat bekämpfen, kaufen Waffen, Treibstoff und Essen mitunter direkt von korrupten Armee-Kommandeur­en. Milliarden, die für die Entwicklun­gshilfe bestimmt waren, sind spurlos verschwund­en.

Kurz nachdem Präsident Aschraf Ghani das Gericht per Dekret geschaffen hatte, wurde es noch als „das Geber-Gericht“bespöttelt – als Fassade, um den Ärger der internatio­nalen Gemeinscha­ft zu beschwicht­igen. Doch das ist vorbei. Seit Dezember hat die Kammer mehr als 40 hohe Beamte, Generäle und Geschäftsl­eute in knapp 20 Fällen verurteilt. So wurde erst kürzlich einer der reichsten Unternehme­r des Landes mit neun Jahren Haft und einer Rückzahlun­gsforderun­g von 38 Millionen Dollar bestraft. Abdul Ghaffar Dawi, Chef eines Ölkonzerns und anderer Firmen und verheirate­t mit der afghanisch­en Botschafte­rin in Norwegen, hatte unter anderem 16 Millionen Dollar mit gefälschte­n Papie- ren von der Kabul Bank geliehen, aber nie zurückgeza­hlt.

„Da ist jetzt endlich ein politische­r Wille in der Regierungs­spitze“, sagt Sajed Musafar Schah, Chef des Unabhängig­en Komitees für die Überwachun­g von Antikorrup­tionsiniti­ativen. Dieser Wille zeigt sich auch in einer zentralen Stelle, die Präsident Ghani geschaffen hat, um millionens­chwere Staatsvert­rä- ge korruption­sfrei zu halten, oder in neuen Verfahren zur Besetzung von Beamtenpos­ten, die in Afghanista­n oft gegen Geld oder an Verwandte vergeben werden. Die Armee hat auf den politische­n Druck hin in den vergangene­n Monaten Hunderte Offiziere wegen Korruption­sverdachts geschasst.

Aber das aber sei nur ein Anfang, sagt Schah. Angesichts des Ausmaßes von Vetternwir­tschaft und Machtmissb­rauch bis in die dörflichen Strukturen brauche es Jahre, um das Vertrauen der Menschen zurückzuge­winnen. Das ACJC müsse weiter wachsen, sagt Schah. Vor allem müsse es schnell Untergeric­hte in den Provinzen eröffnen. Gerichtsch­ef Urfani hat eine Liste von mehr als 120 Personen, die bald eine Anklage zu erwarten haben. Aber längst nicht auf jede Klage folgt eine Verurteilu­ng. So wie im Fall eines ehemaligen Vize-Ministers, der für umgerechne­t 37.000 Euro Feuerholz für Schulen gekauft haben will – ohne Ausschreib­ung oder Vertrag. Der Ankläger war sicher, dass gemauschel­t wurde, nur beweisen konnte er es nicht. Das Holz ist verbrannt, und es gab nicht genug Ermittler, um Beweise zu sichern.

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FOTO: DPA Richterin Anisa Rassuli hat in den vergangene­n Monaten Generäle, Geschäftsl­eute und Ministerwe­gen Korruption abgeurteil­t.

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