Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Mann, der Flucht als Geschenk begreift

- VON CLAUS CLEMENS

Für die Eröffnung von „Neuss liest Ilija Trojanow“ist die Stadtbibli­othek ins RLT umgezogen. Trojanow erzählte dort aus seinem Leben und las aus seinem neuen Roman.

NEUSS Für den Chef der Stadtbibli­othek ist es das letzte Mal. Wenige Wochen nach der achten Aktion „Neuss liest…“wird Alwin MüllerJeri­na seine aktive Tätigkeit beenden. Umso mehr freute er sich bei der Eröffnung des Lesefestiv­als im Landesthea­ter, dass man den renommiert­en Schriftste­ller Ilija Trojanow gewinnen konnte. „Das war beinahe unheimlich einfach mit Herrn Trojanow“, erzählte er den zahlreiche­n Gästen. „Letztes Jahr war er beim ‚Literarisc­hen Sommer‘ dabei und auf die Frage, ob er für unsere Aktion wiederkomm­en wolle, sagte er spontan zu.“In den nächsten Wochen wird an verschiede­nen Orten der Stadt Trojanows erster, 20 Jahre alter Roman „Die Welt ist groß und die Rettung lauert überall“gelesen.

Bei der Eröffnung ging es indes um sein neues Buch „Nach der Flucht“, für das der in Neuss geborene Kritiker Hubert Winkels zum Podiumsges­präch gekommen war. Winkels und Trojanow kennen sich seit Jahrzehnte­n, was bei dem spannenden Gespräch zu allerlei Anekdoten führte. Für die musikalisc­he Begleitung des Abends sorgte der ebenfalls aus Neuss stammende Musiker Yücel Yaman.

Am Beginn des neuen Buchs steht ein Motto: „Für meine Eltern, die mich mit der Flucht beschenkte­n.“Sechs Jahre alt war der kleine Ilija, als die Familie aus dem kommunisti­schen Bulgarien nach Deutschlan­d flüchtete. Nur ein Jahr später ging es bereits weiter nach Kenia, wo der Vater als Ingenieur eine Arbeitsste­lle antrat. Damit war für Ilija eine Reisespur gelegt, die den 1965 Geborenen in alle Teile der Welt führen sollte. „Nach der Flucht“beschreibt in beinahe 200 Aphorismen die Ankunft von Flüchtling­en aus aller Welt in dem Land, in dem sie Zuflucht suchen. Darunter sind Szenen von großer Trauer, aber auch von ebenso großer Freude.

Das Gespräch mit Hubert Winkels führte dann doch auch nach Bulgarien, Thema auch des jetzt in Neuss gelesenen Romans. „Mein Geburtslan­d ist ein unglaublic­h vielschich­tiger Kosmos euro-asiatische­r Kulturen“, sagte der Autor. „Denken Sie nur an Orpheus, den berühmtest­en Sänger der Antike. In Bulgarien gibt es sieben Dörfer, wo er angeblich geboren wurde, und eins, wo er begraben liegen soll.“

Vor nicht allzu langer Zeit war Ilija Trojanow im NRW-Landtag zu Gast, zusammen mit Ranga Yogeshwar und der „Wetterfee“Claudia Kleinert. Damals ging es um den Klimawande­l, und der Autor verblüffte die Abgeordnet­en, als er seinen Roman „Eistau“souverän auswendig vortrug.

In Neuss war es jetzt neben seiner Sprachfert­igkeit auch die Lesekompet­enz, die begeistert­e. Zu wünschen wäre es dem Lesefestiv­al, wenn Trojanow in den nächsten Wochen nochmal für einen Tag zurückkehr­en könnte. „Aber“, so sagte Müller-Jerina, „der Mann ist ja ständig in der ganzen Welt unterwegs.“

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FOTO: G. SALZBURG Ständig in der Welt unterwegs und gerne für einen Halt in Neuss zu haben: der Schriftste­ller Ilija Trojanow.

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