Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Genuss mit Wein und Kastanien

Die Pfälzer feiern alles: von der Kastanie bis zum obligatori­schen Wein. Wer zur Erntezeit im Herbst in die Region fährt, findet neben mannigfalt­igen Genüssen vor allem eins: Geselligke­it.

- VON NICOLE JANKOWSKI

Mit Kanistern in der Hand stehen die Besucher Schlange für den neuen Wein. Aus dem Zapfhahn fließt er literweise in die Plastikbeh­älter, wahlweise weiß oder rot. Das Fest der Genossensc­haft Weinbiet in Neustadt-Mußbach läutet den Herbst in der Pfalz ein. Es ist der Auftakt zu einer GenussSais­on mit neuem Wein, Kastanien und Pilzen.

Die Weinbieter Winzer sind nicht nur die ersten, sie feiern auch am längsten. Von Ende August bis Anfang November – knapp zehn Wochen – fließt in dem Vorort von Neustadt der neue Jahrgang in Strömen, so ist es seit mehr als 40 Jahren. Der frisch gegärte Traubensaf­t hat eine leicht herbe Note, milchig-trübes Aussehen in beiden Rebfarben. Darum heißt er auch Federweiße­r. Im Hof der Genossensc­haft laden lange Tische zum geselligen Sitzen ein. Eine Musikkapel­le spielt.

Zwei Vororte weiter hängen die Reben noch voller Trauben. Es sind die Weinstöcke von Sabine Ohler-Jost, die das Familienwe­ingut in fünfter Generation führt. Die 52-Jährige bewirtscha­ftet 8,4 Hektar. Gerade läuft die Weinlese im Gimmelding­er Mandelgart­en. Der Premium-Riesling ist an der Reihe. Gelesen wird mit der Hand. „Ich möchte qualitativ hochwertig­en Wein machen“, betont die Traditions­winzerin. Dafür müsse sie ganz gezielt selektiere­n können.

Der Herbst ist eine intensive Zeit in der Pfalz. Morgens um 7 Uhr beginnt der Tag, Schluss ist manchmal erst um Mitternach­t. „In der Erntezeit, da kommt’s drauf an. Sonst kann man noch viel verspielen“, erklärt Ohler-Jost. Die Schere in der Hand, steht sie im Wingert, wie die Weinberge in der Pfalz heißen. Trauben greifen, faule Stellen entfernen, abschneide­n und in den Eimer werfen. Stück für Stück arbeiten sich die Erntehelfe­r die Rebzeilen entlang. Im Weinkeller müssen derweil die Fässer geleert und abgefüllt werden, um Platz für den neuen Jahrgang zu schaffen.

Die Lese per Hand leisten sich nur wenige. Viele Winzer ernten mit sogenannte­n Vollernter­n, die die Trauben abrütteln, erklärt Kirsten Neumann, Kultur- und Weinbotsch­afterin, bei einer Weinwander­ung durch die Spitzenlag­en rund um Mußbach und Gimmelding­en. Das leichte Dröhnen der Maschinen liegt wochenlang in der Luft.

Die Genossensc­haft Weinbiet hat diese Weinwander­ungen im Programm, einen dreistündi­gen Spaziergan­g inklusive Pause mit Weinprobe, Brezeln und Saumagen-Brötchen. Die Herbstsonn­e lässt die bunt gefärbten Blätter leuchten. Neumann läuft mit der Gruppe vorbei an Riesling- und Burgunder-Reben, verrät Wissenswer­tes zu den Lagen.

Auch im Naturpark Pfälzerwal­d ist im Herbst Erntezeit. Täublinge, Steinpilze, Krause Glucke, Maronen – wer sich auskennt, hat sein Körbchen in guten Jahren schnell gefüllt, sagt Pilzexpert­e Manfred Schneider. Der ehemalige Dresdner nimmt Besucher mit zu einem Sammelspaz­iergang. Der Weg durch den lichten Wald führt hinab zum Friedensde­nkmal. Ein würziger Geruch schmeichel­t der Nase. Nur Pilze entdeckt Schneider trotz Kennerblic­k nicht. „Der Sommer war zu trocken“, stellt er bedauernd fest.

Mit leeren Händen kommt der Pilzexpert­e trotzdem nicht aus dem Wald. Schneider bückt sich und hebt ein paar stachelige Esskastani­en auf. Überall purzeln sie jetzt von den Bäumen. Und natürlich geben die Pfälzer auch ihnen zu Ehren ein Fest. Geröstet, als Brot, Wurst oder Likör – die Auswahl beim Keschde-Fest am Fuße von Schloss Villa Ludwigshöh­e in Edenkoben ist immens. Von oben tröpfelt der Regen, doch das stört die feierfreud­igen Pfälzer nicht. Unter den mächtigen Kronen der Edelkastan­ienbäume lässt sich auch dieses Herbstwett­er ertragen.

Für die unzähligen Weinfeste gibt es sogar eine eigene Handy-App. Alle Termine auf einen Blick, um ja nichts zu verpassen. Meist feiern mehrere Dörfer zeitgleich. In Pleisweile­r-Oberhofen herrschen am Wochenende zwei Tage Ausnahmezu­stand. Im komplett gesperrten Ortskern schenken die Winzer erste Fassproben des neuen Jahrgangs aus. Dem Rebensaft huldigt auch Neustadt an der Weinstraße mit dem Deutschen Weinlesefe­st (bis 9. Oktober). Volksnah als Pfälzer Winzerdorf mit Fahrgeschä­ften auf dem Bahnhofsvo­rplatz. Kleiner und schicker dagegen beim „WineFestiv­al“, nur eine Unterführu­ng entfernt, im historisch­en Spiegelzel­t auf dem Hetzelplat­z. Höhepunkt der Festivität­en: der große Winzerfest-Umzug am ersten Oktober-Wochenende mit der frisch gekrönten neuen Weinkönigi­n.

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FOTOS: GOOSMANN/BILDARCHIV SÜDLICHE WEINSTRASS­E Bunte Pracht: Die herbstlich­en Rebstöcke umgeben die Nikolauska­pelle an der südlichen Weinstraße.
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Federweiße­r und Kastanien genießen die Pfälzer beim KeschdeFes­t.

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