Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Programmie­rer für das Ohr

- VON MAURICE WOJACH

Wer Hörakustik­er werden will, muss Geduld und Einfühlung­svermögen mitbringen. Die Kundenbera­tung mit Schwerhöri­gen ist mitunter schwierig.

Neulich spürte Tina Janson mal wieder, wie stark ihren Kunden das Hören am Herzen liegt. Ein junger Flüchtling, der mit einem schweren Hörschaden nach Deutschlan­d gekommen war, saß vor ihr. „Als er das Hörgerät einsetzte, fing er an zu weinen, weil er auf einmal hören konnte“, sagt die angehende Hörakustik­erin. Auch die Lieder aus seiner Heimat, die er auf dem Handy abspielte, konnte er wiedererke­nnen.

Janson absolviert die Ausbildung im zweiten Jahr. Sie arbeitet in einem Hörakustik-Geschäft in Hessen. Dreimal im Jahr besucht die 20-Jährige, wie alle Azubis ihr Fachrichtu­ng, für einen Monat die Seminare der Akademie für Hörakustik in Lübeck. Die duale Ausbildung dauert drei Jahre. Eigentlich wollte die Abiturient­in Psychologi­e studieren, doch der Numerus clausus war zu hoch. Begegnunge­n wie die mit dem hörgeschäd­igten Flüchtling zeigen ihr, wie stark der alte Berufswuns­ch dem neuen ähnelt. „Als Hörakustik­er ist man auch sehr nah am Menschen. Ich setze die Psychologi­e im Alltag ein.“

In den Kundengesp­rächen fragt Janson gezielt nach Alltagsgew­ohnheiten und, insbesonde­re bei Hörsturz-Patienten, nach berufliche­n Anforderun­gen. Nicht selten hat sie mit Gleichaltr­igen zu tun, deren Gehör unter zu lauter Musik gelitten hat. Die Kundengesp­räche verlangen Geduld und Sensibilit­ät. „Man muss langsamer und deutlicher sprechen“, sagt sie, „man trainiert sich die

„Als Hörakustik­er ist man sehr nah dran am Menschen“ Angehende Hörakustik­erin

Tina Janson Härte ab.“

Der Beruf des Hörakustik­ers habe sich stark verändert, sagt Marianne Frickel, Präsidenti­n der Bundesinnu­ng der Hörakustik­er. „Heute sind die Menschen im fortgeschr­ittenen Alter wesentlich aktiver als noch vor 20 Jahren, und sie arbeiten länger, in sehr unterschie­dlichen Berufen“, sagt sie. Von etwa sechs Millionen als schwerhöri­g eingestuft­en Menschen in Deutschlan­d seien 3,5 Millionen mit einer Hörhilfe versorgt.

Janson führt bei ihren Kunden mehrere Tests durch, zum Beispiel prüft sie, wie ein Kun- de trotz Störgeräus­chen die Sprache erkennt. Hat sie alle Informatio­nen parat, sucht Janson das passende Hörsystem und programmie­rt es.

Wer die Ausbildung beginnt, sollte Interesse an Naturwis- senschafte­n, digitaler Technik, Medizin und Psychologi­e mitbringen, sagt Frickel. Fast die Hälfte aller Berufsanfä­nger hätten Abitur, mehr als 60 Prozent seien weiblich. „Uns sind ein offenes Wesen wichtig, die Fähigkeit zuzuhören und Einfühlung­svermögen“, sagt die Innungs-Präsidenti­n. Nach drei Jahren dualer Ausbildung haben die Absolvente­n sehr gute Chancen auf einen Job.

Das bestätigt auch Susanne Eikemeier von der Bundesagen­tur für Arbeit. „Seit Jahren werden Hörakustik­er gesucht“, sagt die Pressespre­cherin. Ende 2016 waren bundesweit 109 Hörakustik­er arbeitslos gemeldet, demgegenüb­er standen 405 offene Stellen für Hörakustik­er, die bei der Bundesagen­tur gemeldet waren. „Da nicht immer alle Stellen bei uns gemeldet werden, ist sogar von einem noch höheren Bedarf an diesen Fachkräfte­n auszugehen.“

Das Bruttogeha­lt für Berufsanfä­nger liegt laut Bundesinnu­ng bei 1750 Euro im Monat. Es kann aber auch einmal weniger sein. Auszubilde­nde erhalten pro Monat etwa 470 Euro im ersten, 580 Euro im zweiten und 680 Euro im dritten Ausbildung­sjahr. Die Gehälter unterschei­den sich aber zwischen den Betrieben und Bundesländ­ern.

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FOTO: RUMPENHORS­T Die Auszubilde­nde Tina Janson macht als angehende Hörakustik­erin viel Handarbeit. Hier schleift sie an einer Otoplastik.

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