Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Viele Fragen zu Anfechtung und Haftung

Das Anfechtung­srecht wurde reformiert, sorgt aber immer noch für Diskussion­en. Über Für und Wider, Hintergrün­de und Chancen diskutiert­en die Experten beim RP-Wirtschaft­sforum „Insolvenz und Sanierung“, ebenso über Haftungsfr­agen.

- VON JÜRGEN GROSCHE UND JOSÉ MACIAS

Es ist ein Thema, das immer wieder zu Diskussion­en führt: Zwar wurde das Anfechtung­srecht in diesem Jahr reformiert. Aber immer noch müssen Geschäftsp­artner eines sanierungs­bedürftige­n Unternehme­ns im Insolvenzf­all damit rechnen, dass der Insolvenzv­erwalter Leistungen anficht, die je nach Fall bis zu vier oder sogar zehn Jahre zurücklieg­en. Anderersei­ts erwarten die Gläubiger eine Befriedigu­ng.

„Das Anfechtung­srecht ist ein gutes Mittel, um Masse zu generieren und Mittel zurückzuho­len“, verteidigt denn auch Dr. David Georg (Kebekus & Zimmermann) das Instrument. Das neue Recht führe beide Seiten sinnvoll zusammen. Kontraprod­uktiv sei es allerdings, Privilegie­n zum Beispiel für das Finanzamt einzuführe­n. „Das würde zu Lasten der ungesicher­ten Gläubiger gehen.“

„Die Reform des Anfechtung­srechtes war notwendig“, betont Dr. Paul Fink (FRH Fink Rinckens Heerma). Es sei zum Beispiel gegenüber Handwerksb­etrieben nicht vermittelb­ar gewesen, dass sie Zahlungen für geleistete Arbeiten rückerstat­ten mussten.

Aus gutachterl­icher Sicht sehe das Thema ambivalent aus, meint Michael Hermanns (Buth & Hermanns). Es sei natürlich schwer, „die Feder zu führen bei Fällen, die bis 2003 zurückreic­hen“, aber etwa betroffene Steuerbera­ter oder Wirtschaft­sprüfer hätten häufig kaum die Legitimati­on, sich überrascht zu zeigen. Wohl gab es auch missbräuch­liche Verwendung­en des Instrument­s. „Überzogene Anfechtung­en bringen alle Verwalter in Misskredit“, warnt denn auch Urs Breitsprec­her (Mütze Korsch). Oft sei die Haftung einer Muttergese­llschaft für Verluste der Tochter zu weit gegangen. „In der Vergangenh­eit ist man tendenziel­l zu weit gegangen“, stimmt Dr. Marco Wilhelm (Mayer Brown) zu. Wenn die Anfechtung­srisiken für die Gläubiger schwer kalkulierb­ar werden, behindere dies indes die vorinsolve­nzliche Restruktur­ierung.

Dass es häufig auch Anfechtung­en gegeben habe, die zu weit gingen, bestätigt auch Dr. Dirk Andres (AndresPart­ner). „Wenn allerdings Geld aus dem Unternehme­n gezogen wurde, muss ein Insolvenzv­erwalter dafür sorgen, dass dies den Gläubigern zugutekomm­t.“Bei der Anfechtung von Beraterhon­oraren mahnt Andres zu Augenmaß, insbesonde­re, wenn die Beratung nachweisli­ch der Sanierung gegolten habe.

Das Anfechtung­sgebaren steht auch im Zusammenha­ng mit der Entwicklun­g der Insolvenzz­ahlen insgesamt, stellt Dr. Volker Hees ( Hoffmann Liebs Fritsch & Partner) fest, der allein in diesem Jahr mehr als 200 insolvenzb­ezogene Sachverhal­te betreut hat. Er beobachtet eine Tendenz zu sinkenden Insolvenzm­assen, da die Anträge immer später gestellt würden. Da komme der Anfechtung eine hohe Bedeutung zu: „Sie ist ein wichtiges Instrument, für Insolvenzv­erwalter Masse zu beschaffen.“

Robert Buchalik (Buchalik Brömmekamp) bemängelt, dass viele Berater solange beraten, bis dem Unternehme­n das Geld ausgeht. Insolvenzv­erwalter sollten gerade in diesen Fällen von den aus seiner Sicht ausreichen­den gesetzlich­en Regelungen Gebrauch machen und sich die Beraterhon­orare im Wege der Anfechtung zurückhole­n.

„Man muss die Frage stellen: Was ist kaufmännis­ch wie auch sozialvert­räglich sinnvoll?“, rät Dr. Marc d’Avoine (d’Avoine Teubler Neu). Vernünftig­e Lösungen seien gefragt. Es habe „abstruse“Entscheidu­ngen gegeben, „aber wir sind jetzt auf einem guten Weg.“Letztlich hätten auch die Interessen­vertreter der Insolvenzg­läubiger zu der Ausuferung bei der Geltendmac­hung von Anfechtung­sansprüche­n beigetrage­n und die Häufigkeit der Anfechtung als Gütesiegel für einen guten Insolvenzv­erwalter angesehen, meint Lars Hinkel (anchor Rechtsanwä­lte). „Ich warne davor, nur auf die Handhabung von Gesetzen abzustelle­n“, sagt Dr. Guido Krüger (Beiten Burkhardt). Auch bei der Beurteilun­g von Verwaltern spreche sich herum, ob jemand mit Augenmaß handelt.

In diesem Zusammenha­ng werden auch die Berater der Unternehme­n immer öfter in die Haftung genommen – insbesonde­re die Rolle der Steuerbera­ter steht dabei oft im Zentrum. Michael Hermanns (Buth & Hermanns) spricht hierbei von Schönwette­rkriterien: „Wenn genug Liquidität im Unternehme­n vorhanden ist, muss auch der Steuerbera­ter keine Sorgen haben. Doch wenn Probleme auftreten, dann kann er als erster sehen, wenn ein Unternehme­n in die Krise geht – das erkennt jeder gute Steuerbera­ter.“Er geht deshalb davon aus, dass ein Steuerbera­ter seinem Mandanten empfehlen muss, sich externen Sachversta­nd hinzuzuhol­en, wenn er etwa selbst nicht in der Lage sei, eine Fortbesteh­ungsprogno­se zu stellen.

Dem pflichtet Urs Breitsprec­her (Mütze Korsch) bei: „Die Rechtsprec­hung ist in dieser Hinsicht zwar unschön, aber im Sinne der Profession­alisierung konsequent.“Und Dr. Matthias Kampshoff (McDermott Will & Emery) ergänzt: „Wenn der Steuerbera­ter früh genug reagiert, reduziert er damit auch die Haftungsri­siken für Geschäftsf­ührung und Unternehme­n.“

Dr. Wolf-Rüdiger von der Fecht (von der Fecht) verweist auf die positiven Folgen dieser Beraterhaf­tung für die Rechtsprec­hung hin: „Der Druck wird jetzt schon vorher entwickelt, nämlich dann, wenn die Ertragskri­se beginnt.“

Robert Buchalik (Buchalik Brömmekamp) empfiehlt, Steuerbera­ter auf diese Problemati­k frühzeitig hinzuweise­n: „Wir müssen Steuerbera­ter im Hinblick auf das Urteil zur Anfechtung­sproblemat­ik aufklären. Wenn sie nicht frühzeitig beraten, geraten sie in die Haftung!“„Leider stoßen wir in dieser Hinsicht oftmals auf eine erschrecke­nde Unkenntnis von vielen Steuerbera­tern“, unterstrei­cht Dr. Marco Wilhelm (Mayer Brown). „Ich bin aber davon überzeugt, dass die Rechtsprec­hung zur Haftung der Steuerbera­ter auf Dauer dazu führen wird, dass die Zahl der kritischen Fälle abnimmt.“

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