Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Mundart bewahrt die verlorene Heimat

In vier Jahren hat der Geschichts­kreis Otzenrath 12.000 Begriffe für ein Mundartwör­terbuch gesammelt, das im Frühjahr erscheint. Nachdem Otzenrath dem Tagebau weichen musste, ist die Mundart das letzte Stück Heimat.

- VON GUNDHILD TILLMANNS

NEU-OTZENRATH Ihre Heimat AltOtzenra­th haben Gert Behr und Konrad Eickels schon vor vielen Jahren sozusagen untergehen gesehen im „großen Loch“des Braunkohle­tagebaus. Doch zumindest ihre Otzenrathe­r Mundart wollten sie und ihre weiteren Mitstreite­r im Otzenrathe­r Geschichts­kreis erhalten wissen. Vier Jahre lang haben sie nun insgesamt 12.000 Wörter und Redewendun­gen aus dem Otzenrathe­r Platt gesammelt, dokumentie­rt und übersetzt. Nun soll ihr Mundartwör­terbuch in Druck gehen.

Angereiche­rt wird das Werk durch eine Vielzahl von Fotografie­n, die Behr größtentei­ls in dem privaten Heimatmuse­um von Inge Broska anfertigen konnte. Die passionier­te

„Wir müssen an unser Alter denken und Tempo machen“

Mundartaut­or Josef Brockerhof­f

kurz vor vor seinem Tod im Jahr 2016

Sammlerin hatte denn auch eine ganze Kiste voller Schnipsel mit Mundartwör­tern zusammenge­tragen, die Konrad Eickels dann in einer ausgesproc­henen Fleißarbei­t in Dateienfor­m brachte. Jedes einzelne Schnipselc­hen hat er dabei in die Hand genommen und mühselig abgeschrie­ben, damit alle kleinen Einzelbeit­räge auch zu einer Systematik für das Mundartwör­terbuch konzipiert werden konnten.

Fachliche Betreuung fanden die Otzenrathe­r bei ihrem Mundartwör­terbuch in Eva Schmitt-Roth vom „Internatio­nalen Mundartarc­hiv Ludwig Soumagne“in Zons. Dort wird nun auch der Druck begleitet, denn im Frühjahr 2018 soll das Werk erscheinen. Zur Finanzieru­ng suchen die Otzenrathe­r aber noch Sponsoren und haben sich deshalb für das Förderprog­ramm der Raiffeisen­bank gemeldet. Dort steht eine bestimmte Summe zur Verfügung. Wer gefördert wird, darüber entscheide­t aber ein freies Votum im Internet unter www.foerderpro­gramm-erkelenz.de. „Hoffentlic­h machen viele mit“, wünschen sich Behr und Eickels.

Das Erscheinen des Mundartwör­terbuches werden aber schon mindestens zwei der ursprüngli­ch sieben Autoren nicht mehr miterleben können: Josef Stessen ist 2013 und Josef Brockerhof­f im vergangene­n Jahr verstorben. Neben Behr, Eickels und Broska gehören HansBert Cremer und Hubert Stessen zum Geschichts­kreis Otzenrath, der sich zum Endspurt alle acht Tage zur intensiven Arbeit am Mundartwör­terbuch getroffen hat. Denn Josef Brockerhof­f hatte angemahnt: „Wir müssen an unser Alter denken und Tempo machen.“Und tatsächlic­h starb der über 90-Jährige ein halbes Jahr später.

Die Zusammenkü­nfte des Otzenrathe­r Geschichts­kreises seien übrigens viel mehr als nur Arbeitstre­ffen für das Mundartwör­terbuch gewesen, berichtet Gert Behr: „Wir haben uns auch immer alle möglichen Anekdoten erzählt.“Dabei sei das Leben anno da- zumal in Alt-Otzenrath wieder wach geworden. Die Redewendun­gen, die im Wörterbuch ebenfalls zu finden sein werden, und natürlich die Bil- der geben viel davon wieder, wie früher auf dem Lande gelebt wurde.

Da ist beispielsw­eise das außergewöh­nliche Foto von einem Mann mit Jauchefass, der Ende der 1930er Jahre noch auf diese Art und Weise die heutige Kanalisati­on ersetzte. Mit Gummistief­eln und Holzschuhe­n zweifach geschützt , schreitet er nach einem vollen Arbeitstag rund um das stinkende Güllefass trotzdem dem Fotografen freundlich lächelnd entgegen. Und dazu lautet die Erläuterun­g in Otzenrathe­r Platt: „„Ech wu-ar d‘r janze Daach am Drieß schürje“, auf Hochdeutsc­h: „Ich habe den ganzen Tag Schei... geschüppt.“Neben all’ der teilweise auch deftigen Nostalgie wird mit dem Otzenrathe­r Mundartwör­terbuch aber auch ein Stück linguistis­che Geschichte festgehalt­en. Denn Otzenrath und auch Spenrath lagen auf der sogenannte­n Uerdinger und Benrather Linie: nördlich von dem nur etwa zwei Kilometer entfernten Borschemic­h oder in Mönchengla­dbach wurde schon wieder ganz anders gesprochen, wie Gert Behr erläutert.

Sagte man in Otzenrath „maache“für machen, so hieß es in Mönchengla­dbach „make“. Oder aus der Otzenrathe­r „Zick“für Zeit wurde in Gladbach die „Tiet“, aus dem „Löhfel“für Löffel in Otzenrath etwas weiter nördlich der „Löhpel“oder „Loopel“.

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FOTOS: GERT BEHR (3), TILLMANNS (1) Mann mit Jauchefass aus dem Jahr 1937: „Ech wu-ar d‘ r janze Daach am Drieß schürje“, wird die Bildunters­chrift im Mundratwör­terbuch lauten.
 ??  ?? Ein Regal mit Eingemacht­em – „Enjemaats“in Mundart.
Ein Regal mit Eingemacht­em – „Enjemaats“in Mundart.
 ??  ?? Toilettenh­äuschen wie dieses aus Alt-Otzenrath gab es früher viele.
Toilettenh­äuschen wie dieses aus Alt-Otzenrath gab es früher viele.
 ??  ?? Gert Behr und Konrad Eickels mit dem Titelbild für das Mundartwör­terbuch.
Gert Behr und Konrad Eickels mit dem Titelbild für das Mundartwör­terbuch.
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