Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Roland Jahn lobt die Stärken des Archivs

Der Bundesbeau­ftragte für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen DDR war Gastredner beim Festakt zur 775-Jahr-Feier des Neusser Stadtarchi­vs. Er sprach über Stärken und Bedeutung von Archivarbe­it.

- VON VERA STRAUB-ROEBEN

NEUSS Mit dem 775. Geburtstag des Stadtarchi­vs Neuss wurde jetzt ein außergewöh­nliches Jubiläum gefeiert. „Das älteste städtische Institut ist heute ein lebendiges Informatio­nszentrum und das funktional­e Gedächtnis der Stadt“, betonte Bürgermeis­ter Reiner Breuer. Aber nicht nur das: 1242 erstmals in einer testamenta­rischen Regelung erwähnt, zählt das Neusser Stadtarchi­v zu den ältesten in Deutschlan­d. Das Kölner Archiv zum Beispiel wird Jens Metzdorf erst 80 Jahre später erstmals genannt – und Düsseldorf kommt da ohnehin nicht dran.

Historisch bedeutsam und bis in die Gegenwart strahlend – das ist das Fundament, das das Archiv für die Identität der Quirinus-Stadt so wichtig macht. Breuer bezeichnet­e es denn auch als „Herzstück der städtische­n Erinnerung­skultur“. Bei einem Festakt mit rund 150 Gästen blickte Stadtarchi­var Jens Metz- dorf nicht nur auf das Jubiläumsj­ahr zurück. „Seit genau 50 Jahren hat das Stadtarchi­v übrigens seine Heimat an der Oberstraße“, betonte er. „Es ist zwar eines der kleinsten Ämter. Was das Engagement und die Teamleistu­ng angeht, ist es aber ganz groß.“Als Festredner begrüßte er Roland Jahn, den Bundesbeau­ftragten für die Unterlagen des Staatssich­erheitsdie­nstes der ehemaligen DDR in Berlin.

Erst einmal aber ging es um die Archivarbe­it. Archivare begreifen die Gegenwart als etwas Gewachse- nes und verfallen beim Planen der Zukunft nicht in Übermut. „Wir sind aus tiefster Überzeugun­g Dienstleis­ter für die jetzige, aber auch die nachfolgen­den Generation­en. Die Digitalisi­erung und die Datenflut stellen uns vor eine immense Herausford­erung, und wer glaubt, wir arbeiteten dann mit weniger Papier, der irrt“, sagte Metzdorf. „In Kürze werden wir in das digitale Langzeitar­chiv einsteigen.“

Dann sprach Roland Jahn über die „Transparen­z des Geheimen. Archive und Demokratie“. Er lobte Neuss als lebendige Stadt mit einer lange nachvollzi­ehbaren Geschichte. „775 Jahre sind ein langer Zeitraum, aber für Archivare, die in Jahrhunder­ten denken, eher Alltag. In der heutigen schnellleb­igen Zeit ist das fast schon therapeuti­sch.“

Jahn berichtete nicht nur als Bundesbeau­ftragter, sondern auch als Zeitzeuge, der fast 30 Jahre in der DDR – „also in einer Diktatur“– gelebt hat. Er sprach über das StasiUnter­lagen-Archiv und seine Geschichte: 111 Kilometer Stasi-Akten bilden dort ein Monument der Überwachun­g und Repression­en und geben Einblick in das Leben der Menschen vor der friedliche­n Revolution 1989, dem Fall der Mauer und der Wiedervere­inigung.

Die Menschen sollten Einblick in ihre gestohlene­n Biografien nehmen dürfen und erfahren, wann, wo und wie der Staat in ihr persönlich­es Leben eingegriff­en hat. „Kein anderes Archiv begann mit einer Revolution“, sagte Jahn. „Es hat schon millionenf­ach betroffene­n Menschen Auskunft erteilt. Hinter jeder Akte steckt ein menschlich­es Schicksal,

„Die Digitalisi­erung und die Datenflut stellen uns vor immense Herausford­erungen“ Stadtarchi­var „775 Jahre sind ein langer Zeitraum, aber für Archivare, eher Alltag“

Roland Jahn

Bundesbeau­ftragter für Stasi-Unterlagen

das der Opfer, das der Täter und das von Menschen, die in keine dieser Schubladen passen“, erklärte Jahn. Er beobachtet, dass das Stasi-Archiv zu einem Modell geworden ist, das auch Delegation­en aus anderen Ländern interessie­rt, etwa aus Zypern oder Albanien, aber auch aus arabischen Ländern. „Sie wollen wissen, wie man Gerechtigk­eit schafft. Meine Antwort ist: Wir rechnen nicht ab, wir klären auf.“

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FOTO: SASCHA DRESSLER Beim Festakt (v.l.): Bürgermeis­ter Reiner Breuer, Kulturdeze­rnentin Christiane Zangs, Festredner Roland Jahn, Stadtarchi­var Jens Metzdorf.

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