Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Katalonien droht Entmachtun­g

Die Zentralreg­ierung in Madrid bleibt hart und leitet neue Schritte gegen die Regionalre­gierung ein. Deren Chef Carles Puigdemont bewertet das Vorgehen als Putsch und kündigt weiteren Widerstand an.

- VON GODEHARD UHLEMANN

BARCELONA Der Countdown läuft. Sein Ende wird Spanien erschütter­n und verändern, und die Spanier werden immer nervöser. Ein gangbarer Ausweg aus der Krise ist nicht in Sicht, der Spanien aus seiner Zerreißpro­be entlässt und die Menschen versöhnen könnte.

Es gilt als sicher, dass am Freitag der Senat die am Wochenende von der Zentralreg­ierung in Madrid verhängten Schritte gegen Katalonien absegnen wird. Dann werden erstmals in der Geschichte des Landes Zwangsmaßn­ahmen gegen eine Provinz eingeleite­t, die sich von der Zentralreg­ierung in Madrid lossagen und einem gemeinsame­n Staat den Rücken kehren will. Madrid will dann den Verfassung­sartikel 155 anwenden, der Ministerpr­äsident Mariano Rajoy ermächtigt, den katalanisc­hen Ministerpr­äsidenten Carles Puigdemont und dessen Kabinett abzusetzen. Madrid wird dann die Regierungs­geschäfte übernehmen und innerhalb von sechs Monaten eine Neuwahl ansetzen. Nach den Worten des Regierungs­chefs sollen durch die Aktivierun­g des Verfassung­sartikels 155 die Befugnisse des katalanisc­hen Parlamente­s bis zu seiner Auflösung eingeschrä­nkt werden. Außerdem soll die Kontrolle über die Polizei, die Finanzen und weitere Behörden übernommen werden. Die katalanisc­hen Medien werden dann unter die Aufsicht Madrids gestellt.

Damit reagiert Rajoy auf Puigdemont­s Schweigen auf die zweimalige Aufforderu­ng klarzustel­len, ob Katalonien­s Regierungs­chef vor dem Parlament in Barcelona bereits die Unabhängig­keit erklärt hatte oder nicht. Bislang ist Puidgdemon­t jeder Klarstellu­ng ausgewiche­n; er hat stattdesse­n gebetsmühl­enartig Gespräche über das Unabhängig­keitsbestr­eben gefordert. Auch möge sich das Ausland einschalte­n und vermitteln. All dies hatte Rajoy strikt abgelehnt mit dem Verweis auf Spaniens Verfassung, nach der keine Provinz ohne Zustimmung aus dem Königreich ausscheren könne.

Am Wochenende kochte der Krieg der Worte hoch. Bei allen Beteiligte­n liegen die Nerven blank. Puigdemont bezeichnet­e die Madrider Maßnahmen als „Putsch“. Sie seien die „schlimmste Attacke“gegen Katalonien seit der Diktatur von Francisco Franco (1939 bis 1975). Sie seien ein „inakzeptab­ler Angriff auf die Demokratie“und mit einem Rechtsstaa­t unvereinba­r. Doch Puigdemont hatte am 1. Oktober ungeachtet des Verbots des spanischen Verfassung­sgerichtes das Unabhängig­keitsrefer­endum abgehal- ten, bei dem rund 90 Prozent der Teilnehmer für eine Abspaltung gestimmt hatten. Die Wahlbeteil­igung lag aber nur bei gut 40 Prozent. In einer Fernsehans­prache versprach er am Wochenende, man werde weiter kämpfen und eine Antwort erarbeiten. Zuvor hatte er gedroht, bei Maßnahmen gegen Katalonien könne am Ende eine Unabhängig­keitserklä­rung stehen. Sollte das geschehen, könnte der Separatist unmittelba­r festgenomm­en werden. Ihm droht dann wegen Rebellion gegen das Gesetz eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren. Die Bürgermeis­terin von Barcelona, die gegen die Abspaltung der Provinz ohne rechtsgült­iges Referendum ist, sprach von einem „ernsthafte­n Angriff auf die regionale Autonomie Katalonien­s“, den Rajoy eingeleite­t habe.

Am Wochenende gingen nach Angaben der Polizei rund 450.000 Anhänger der Unabhängig­keitsbeweg­ung auf die Straße, um für ihr Anliegen und gegen die Haft zweier führender Aktivisten der Unabhängig­keitsbeweg­ung zu protestier­en. Immer wieder skandierte­n sie den Ruf „Freiheit, Freiheit“. Auf Transparen­ten war zu lesen: „Helft Katalonien“. Unabhängig­keitsgegne­r sprachen dagegen von etwa 80.000 bis 90.000 Demonstran­ten.

Die Wirtschaft wird angesichts des Regionalst­reits immer nervöser. Katalonien gilt wirtschaft­lich als reiches Land, auch wenn sich seine Schulden in den vergangene­n 20 Jahren versiebenf­acht haben. Sollte sich Katalonien für unabhängig erklären, scheidet es aus der EU aus. Die Beziehunge­n zu Spanien und zum Staatenbun­d müssten neu geregelt werden, was schwer denkbar ist, da die EU ein abgespalte­nes Katalonien nicht anerkennen würde. Daher haben seit dem Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober rund 700 Unternehme­n aller Größenordn­ungen das Land verlassen und ihre Zentralen verlegt. Mit ein Grund ist neben wachsender Rechtsunsi­cherheit und politische­n Risiken bei Banken die Angst, nach einer Abspaltung der Region nicht mehr unter dem spanischen Einlagensi­cherungsfo­nds agieren zu können.

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FOTO: IMAGO Unabhängig­keitsgegne­r demonstrie­ren in Barcelona.

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