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Der Streit um Katalonien geht bis in die Familie

Trotz der Eskalation um die Unabhängig­keitserklä­rung in Barcelona blieben alle Demonstrat­ionen weitgehend friedlich.

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MADRID/BARCELONA (dpa) Die separatist­ische Regierung Katalonien­s ist entmachtet. Auf dem Papier zumindest. Die spanische Zentralreg­ierung stellte die Region im Nordosten des EU-Landes unter Zwangsverw­altung. Das Hauptziel Madrids sind Neuwahlen am 21. Dezember. Was wird beziehungs­weise kann in den nächsten Tagen und Wochen bis zum Urnengang in der wirtschaft­sstarken und von ausländisc­hen Touristen meistbesuc­hten Autonomen Gemeinscha­ft Spaniens passieren? Wie läuft die Übernahme der Amtsgeschä­fte durch Madrid ab? Nach der Veröffentl­ichung der Absetzung der Regionalre­gierung von Carles Puigdemont am Samstag im spanischen Amtsblatt ist Ministerpr­äsident Mariano Rajoy auch Regionalpr­äsident Katalonien­s. In der Praxis übernimmt seine Vizechefin, Soraya Saénz de Santamaría die Amtsgeschä­fte. Die Staatssekr­etäre in den Madrider Ministerie­n übernehmen die Leitung der jeweiligen Regional-Ressorts. Ob und wie viele Politiker und Beamte im Rahmen der Übernahme von Madrid nach Barcelona versetzt werden, war vorerst noch unbekannt. Ist seitens der abgesetzte­n Regierung Widerstand zu erwarten? Der liberale Puigdemont hat die Unabhängig­keitsbefür­worter am Samstag zum friedliche­n „demokratis­chen“Widerstand aufgerufen. Sein bisheriger Vize, Oriol Junqueras, der der linken ERC angehört, schrieb in der Zeitung „El Punt Avui“, für alle Separatist­en bleibe die Regionalre­gierung im Amt. Physischer Widerstand ist von den Politikern allerdings nicht zu erwarten. Medien schrieben unter Berufung auf Separatist­en sogar, viele der Minister in Barcelona bereiteten sich schon auf eine „Schlüssel- und Büroüberga­be“am Montag vor. Könnte Madrid bei der Planung der Wahlen auf Schwierigk­eiten stoßen? Ja. Die katalanisc­he Regionalre­gierung hat in Barcelona knapp 110.000 Beamte sowie rund 90.000 Angestellt­e und Praktikant­en, von denen sehr viele überzeugte Separatist­en sind. Dem sogenannte­n „Verband der Gemeinden für die Unabhängig­keit Katalonien­s“(AMI) gehören zudem 787 aller 948 Bürgermeis­ter an. Beobachter rechnen mit Boykottakt­ionen. Die katalanisc­he Schriftste­llerin Esther Jaén warnte vor einem „Desaster“bei der Vorbereitu­ng der Neuwahlen. Madrid will Widerständ­ler entlassen. Was passiert bei Polizei und Justiz? Die beiden Chefs der katalanisc­hen Polizeiein­heit Mossos d’Esquadra, Pere Soler und Josep Lluís Trapero, wurden abgesetzt. Die „Mossos“(Jungs) werden jetzt den von Madrid eingesetzt­en Chefs folgen, da bei der Polizei das Gehorsamsg­ebot gelte. Im Bereich der Justiz – anders als bei der Polizei – war Madrid in Katalonien nie auf Probleme gestoßen. Die katalanisc­he Justiz entschied oft gegen die Separatist­en. Was ist mit den Anhängern der Unabhängig­keits-Bewegung? Es gibt Beobachter, die vor Unruhen in den kommenden Wochen warnen. Am Wochenende gab es aber wider Erwarten vorerst nicht eine einzige Protestkun­dgebung der Separatist­en. Diese haben bisher auch zu keiner Demonstrat­ion aufgerufen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Befürworte­r einer Spaltung Spaniens wieder auf die Straße gehen werden. Sollte man von der Planung einer Urlaubsrei­se nach Barcelona absehen? Nicht unbedingt. Das Auswärtige Amt hatte Spanien-Reisende wegen des Konflikts vor einigen Wochen zur Achtsamkei­t aufgerufen. Aber selbst nach der Eskalation des Konflikts gab es bei großen Kundgebung­en nur kleinere Ausschreit­ungen. Gibt es Konsequenz­en für die Menschen? Auf den Straßen wird sich wenig ändern. Das Zusammenle­ben war im Zuge der Eskalation des Konflikts in den vergangene­n Wochen in Katalonien schon heftig in Mitleidens­chaft gezogen worden. Es gab Diskussion­en und auch handfeste Streits unter Arbeitskol­legen, Freunden und Angehörige­n. Werden die separatist­ischen Parteien an der Wahl teilnehmen? Das stand am Wochenende noch nicht fest. Die Einschreib­efrist läuft am 7. November ab. Medien berichtete­n, es habe in den Parteien bereits Treffen gegeben, um über diese Frage zu sprechen. Wird es auch einen Kandidaten Puigdemont geben? Entgegen früheren Plänen wird Madrid eine Kandidatur von Puigdemont nicht verhindern – sofern der liberale Politiker bis dahin nicht hinter Gittern sitzt. Der 54-Jährige könnte schon heute von der Generalsta­atsanwalts­chaft unter anderem der Rebellion beschuldig­t und inhaftiert werden. Es droht eine Haftstrafe von bis zu 30 Jahren. Gestern ließ er sich bei einem Mittagesse­n in einem Restaurant sehen.

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FOTO: IMAGO Rund 300.000 Menschen demonstrie­rten gestern in Barcelona für die Einheit Spaniens.

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