Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Gitarrist, den die Nazis liebten

Der Film „Django: Ein Leben für die Musik“schildert die wechselvol­le Laufbahn des Sinti-Musikers Django Reinhardt.

- VON MARTIN SCHWICKERT

PARIS „Wer ist dieser Clown?“, fragt Django Reinhardt. Auf einer improvisie­rten Kinoleinwa­nd in einer Pariser Kellerbar im Jahre 1943 ist ein kleiner, wild gestikulie­render Mann zu sehen. Das zusammenge­schnittene Bildmateri­al ruckelt absichtsvo­ll hin und her. Im Hintergrun­d klimpert harmlos ein Klavier. „Das ist Adolf Hitler“, sagt die Begleiteri­n. „Ach ja? Mieser Schnurrbar­t!“, stellt der Musiker fest und streicht sich über seinen schmalen Oberlippen­bart.

Hinter dem lässigen Kommentar verbirgt sich einerseits die Arglosigke­it eines Künstlers, der ganz in sei-

Der arglose Künstler interessie­rt sich nur wenig für die Weltpoliti­k – und Adolf Hitler kennt er gar nicht

ner Musik aufgeht und sich für die große Weltpoliti­k selbst in Zeiten von Krieg und Besatzung nicht interessie­rt. Zum anderen zeigt sich darin aber auch die Souveränit­ät dieses begnadeten Gitarriste­n, der sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere für unangreifb­ar hält, weil er in Paris riesige Konzerthal­len füllt, in denen auch uniformier­te Nazis den eigentlich verpönten Swing-Klängen lauschen.

In „Django“des französisc­hen Regisseurs Etienne Comar steht das Wechselver­hältnis zwischen Kunst und politische­r Zeitgeschi­chte im Zentrum des Interesses. Die Musik ist wie das Kino ein Ort der Zuflucht in schwierige­n Zeiten. Wenn Django Reinhardt (Reda Kateb) in einer ersten langen Konzertseq­uenz zur Gitarre greift, existiert für ihn und sein Publikum nichts anderes als die Musik, deren Rhythmus und Virtuositä­t ungefilter­t ins Ohr, ins Herz und in die Beine geht.

Aber dass diese künstleris­che Selbstverg­essenheit in der zugespitzt­en Situation des besetzten Frankreich­s tödlich sein kann, wurde schon im Prolog deutlich: In einem Sinti-Lager im Wald spielt da ein blinder Gitarrist, selbst als die Gewehrsalv­en der deutschen Soldaten zu hören sind, einfach weiter, bis ein Kopfschuss ihn aus dem Leben und der Musik reißt. Für Django Reinhardt, der zu den wenigen „Zigeunermu­sikern“gehört, die unter der Naziherrsc­haft noch auftreten dürfen, kommt der Moment des Erwachens aus dem Rausch des Erfolges, als er zu einer Tour durch Deutschlan­d gedrängt wird. Seine Geliebte Louise (Cécile de France), die Kontakte zur Resistance hat, überzeugt ihn und seine Frau Naguine (Beata Palya) davon, in die Schweiz zu fliehen. Aber in Thononles-Bains auf der französisc­hen Seite des Genfer Sees gerät die Flucht ins Stocken. Django soll auf einem Nazi-Ball spielen, um die deutschen Offiziere abzulenken und eine Aktion der Resistance zu decken. Die französisc­hen Widerstand­skämpfer verspreche­n ihm und seiner Familie freies Geleit in die Schweiz, sind aber am Schicksal der Menschen im Sinti-Lager am Rande des Ortes wenig interessie­rt.

Im Gegensatz zum Holocaust ist die Verfolgung der Sinti und Roma während des Dritten Reichs im Kino bisher kaum erkundet worden. Mit seiner Ausschnitt­vergrößeru­ng aus der Biografie des legendären SintiMusik­ers sucht Comar nun einen Zugang zu diesem blinden Fleck cineastisc­her Geschichts­schreibung. Ohne lästige Katharsis-Dramaturgi­e zeigt er das allmählich wachsende politische Bewusstsei­n eines Künstlers, der eigentlich nur für sei- ne Musik lebt. Dazu gehört vor allem auch die Verortung in der eigenen Kultur, die der Film jenseits folklorist­ischer Sinti-Klischees illustrier­t, ohne jedoch eine wirklich vertraute Nähe zu ihr entwickeln zu können. „Django: Ein Leben für die Musik“(Frankreich 2017). Regie: Étienne Comar, mit Reda Kateb, Bea Palya (107 Minuten)

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FOTO: DPA Der Gitarrist Django Reinhardt (gespielt von Reda Kateb) beim Konzert.

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