Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sein teuerster Besitz ist weg

Stephan M. kann nach einer Krebs-OP nicht mehr sprechen. Sein Kommunikat­ionsmittel war sein Handy, das wurde gestohlen.

- VON HELENE PAWLITZKI

Früher, erzählt seine Schwester Susanne, habe Stephan ununterbro­chen geredet.

Jetzt ist es schwer, sich das vorzustell­en. Stephan M. redet nicht mehr. Wenn man ihm einen guten Tag wünscht, nickt er. Wenn man ihn fragt, ob er manchmal vor die Tür geht, zeigt er mit Daumen und Zeigefinge­r: kaum. Wenn man ihn fragt, wie es ihm geht, greift er zu einem Ringbuch und einem Kugelschre­iber. „Ganz mies“, schreibt er. „Ganz unten.“Auf seinem Schoß sitzt seine Katze und lässt sich streicheln. An der Wand eine gerahmte Urkunde: Am ersten Juliwochen­ende war M. Freiwillig­er bei der Tour de France. „Da war noch alles in Ordnung“, sagt seine Schwester. „Bis auf den Knubbel am Hals.“

Stephan M. ist sehr, sehr krank. Kurz nach der Tour ist er am Hals operiert worden. Hinten links wur- de ihm ein Tumor entfernt. Seitdem trägt er eine Manschette um den Hals, darin ein Plastikröh­rchen. Dadurch atmet der 43-Jährige. Er kann seitdem nicht mehr essen, nicht mehr trinken, nicht mehr sprechen.

Eigentlich hätte er schon längst eine Reha bekommen sollen, logopädisc­hes Training, damit es mit dem Sprechen und Essen wieder klappt. Aber dann begann Stephan auf einmal doppelt zu sehen. Die Ärzte entdeckten einen weiteren Tumor, diesmal in seinem Kopf. Vor anderthalb Wochen brachte seine Schwester ihn deshalb für eine Biopsie in die Uniklinik. Am Mittwoch schickte er um 12.18 Uhr noch eine Textnachri­cht an eine Bekannte. Dann brachte ihn das Pflegepers­onal für ein MRT in die Radiologie. Als er wiederkam, war sein Handy weg. Gestohlen aus der Schublade seines Nachtschra­nks. Das Portemonna­ie und die lederne Hülle hatte der Dieb da gelassen.

„Bitter“, schreibt Stephan M. in seinen Block, wenn man ihn fragt, wie er sich nach dem Diebstahl gefühlt hat. „Traurig. Weiß nicht mehr weiter. Ich habe in dem Moment meinen Mut verloren.“

Denn das Handy war seine Verbindung zur Außenwelt. Täglich schrieben er und seine Schwester sich Nachrichte­n, er kommunizie­rte schriftlic­h mit Apothekern und bestellte sich Sondenkost. Das Handy bedeutete Unabhängig­keit. Es ermöglicht­e Stephan M., die Kontrolle über sein Leben zu behalten, trotz seiner Krankheit.

Auch bei seiner Schwester Susanne war der Schock groß. Am Abend des Diebstahls stand die Erzieherin am Bügelbrett, als ihr plötzlich eine Eingebung kam. In der FacebookGr­uppe „Nettwerk Düsseldorf“schrieb sie: „Wer auch immer heute ein Samsung-Handy in einem Nachtschra­nk auf Station Z23 der Uniklinik Düsseldorf ,gefunden’ hat, der möge es doch bitte wieder abgeben. Es gehört meinem schwerkran­ken Bruder, der seit drei Monaten nicht mehr sprechen kann. Alle für ihn wichtigen Informatio­nen sind darauf. Bitte gib es wenigstens anonym wieder ab.“Mehr als 250 Nutzer teilten den Auf- ruf, viele schrieben darunter, wie empört sie so ein Diebstahl mache. Ein Mann bot ein Handy als Leihgabe an.

Inzwischen hat Stephan M. von einer Bekannten schon ein Handy bekommen, das er erst mal verwenden darf. Bis er sich daran gewöhnt hat, erledigt seine Schwester für ihn die Anrufe bei Ärzten und Apothekern. Fragt man den ehemaligen Handwerker, ob er noch Hoffnung hat, sein altes Handy wiederzube­kommen, winkt er ab. Er wünsche sich, wieder normal essen zu können – egal was, schreibt er. Wieder etwas schmecken zu können. Durch seine Krankheit hat er stark abgenommen.

„Und wenn Sie mal was für mich zu tun haben, was mich ablenkt, wäre ich auch sehr dankbar“, schreibt er dann noch. Nahrung für den Geist – die braucht Stephan M. mindestens genau so sehr wie Nahrung für den Körper.

 ?? RP-FOTO: HELENE PAWLITZKI ?? Seit sein Handy gestohlen wurde, kann Stephan M. mit seiner Schwester nur noch mit Block und Stift kommunizie­ren.
RP-FOTO: HELENE PAWLITZKI Seit sein Handy gestohlen wurde, kann Stephan M. mit seiner Schwester nur noch mit Block und Stift kommunizie­ren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany