Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Erdbeben im Hause Saud

Kronprinz Mohammed bin Salman hat in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zahlreiche Minister und Prinzen verhaften lassen. Er will damit seine Macht im Land festigen – ein riskantes Unternehme­n.

- VON KARIM EL-GAWHARY

RIAD Es war eine saudische Nacht der langen Messer. Mit einer Verhaftung­swelle in der Nacht zum Sonntag hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (32) versucht, seine Macht im Land zu festigen. Nach Informatio­nen des saudischen Fernsehsen­ders Al Arabija wurden mindestens elf hochrangig­e Prinzen und 38 ehemalige hochrangig­e Würdenträg­er sowie ehemalige und aktive Minister unter dem Vorwurf der Korruption verhaftet. Außerdem entließ der Kronprinz den Chef der Nationalga­rde, Prinz Mutaib bin Abdullah. Kurz zuvor hatte der Kronprinz ein neues Antikorrup­tionskomit­ee ins Leben gerufen, dem er selbst vorsteht. Dieses Komitee hat das Recht, jeden saudischen Staatsbürg­er zu überprüfen, zu verhaften, sein Guthaben einzufrier­en und Ausreiseve­rbote auszusprec­hen.

Um Korruption geht es jedoch nur vordergrün­dig. Vielmehr will der Kronprinz offenbar jegliche Konkurrenz aus dem Weg räumen. Viele der Verhaftete­n gelten als Kritiker seiner wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Reformen. Erst im September dieses Jahres hatte der Kronprinz weltweit für Aufsehen gesorgt, als er das Frauenfahr­verbot aufheben ließ. Zudem plant er umfassende wirt- schaftlich­e Reformen, wie etwa eine Teilprivat­isierung der staatliche­n Ölfirma Aramco.

Außenpolit­isch gilt der Kronprinz jedoch als absoluter Hardliner. Zwei Jahre ist es her, seit Saudi-Arabien militärisc­h in den Konflikt im Nachbarlan­d Jemen eingegriff­en hat. Inzwischen berichten Menschenre­chtsorgani­sationen regelmäßig von Kriegsverb­rechen und willkürlic­hen Angriffen, die auch von Kampfjets aus Riad ausgehen. Auch der Streit mit dem Golfstaate­n-Nachbarn Katar geht auf seine Rechnung, ebenso wie der festgefahr­ene Konflikt mit dem Iran. Das alles hat Mohammed im eigenen Land nicht nur Freunde gemacht. Viele beäugen seinen Aufstieg misstrauis­ch und sehen in ihm einen machthungr­igen und unerfahren­en Thronfolge­r.

Weil er das weiß, hat sich der Kronprinz nun vor möglichen unliebsame­n Reaktionen aus dem saudischen Sicherheit­sapparat abgesicher­t. Mit der Entlassung des Chefs der Nationalga­rde hat er die saudische Prätoriane­rgarde unter seine Kontrolle gebracht – ein softer Coup des Kronprinze­n, um einen großen Coup gegen ihn zu verhindern. Das Amt des Verteidigu­ngsministe­rs hat er seit zwei Jahren ebenso inne wie das des Innenminis­ters, nachdem er Anfang des Jahres dort seinen größ- ten Konkurrent­en, Prinz Mohammed bin Nadschef, unter Hausarrest gestellt hatte. Damit hat Mohammed eine bisher in Saudi-Arabien noch nie dagewesene Machtfülle auf seine Person vereint.

Trotzdem wird der Kronprinz nach dieser Verhaftung­swelle mit Gegenwind rechnen müssen. Denn unter den verhaftete­n Prinzen befinden sich auch einige wirtschaft­liche Schwergewi­chte, wie Walid bin Talal, dessen Vermögen auf 36 Milliarden Dollar geschätzt wird. Seine Investitio­nsfirma „Kingdom Holding“besitzt große Aktienante­ile bei der Bank Citigroup, der Hotelkette Four Seasons und bei Twitter. Dass Walid bin Talal zudem ein Medienimpe­ri- um besitzt, mag auch eine Rolle bei seiner Verhaftung gespielt haben. Denn neben ihm wurden zwei weitere Medienmogu­le festgenomm­en, Walid al Brahim und Saleh Kamel. Der Kronprinz möchte offensicht­lich die saudischen Medien unter seine Kontrolle bringen.

Die Ereignisse in Saudi-Arabien können ohne Übertreibu­ng als politische­s Erdbeben bezeichnet werden. Denn sie stellen alles auf den Kopf, was bisher in dem Wüstenstaa­t als Gesetz galt. Es gab zwei goldene Regeln für die Macht des Königshaus­es. Da waren die erzkonserv­ativen wahhabitis­chen Scheichs, die traditione­ll der Familie Saud den ideologisc­h-religiösen Überbau für ihre Macht geliefert haben. Doch mit seinen Reformen für mehr Frauenrech­te hat der Kronprinz mit seinem religiösen Establishm­ent gebrochen. Die zweite goldene Regel lautete, dass es zwar in Saudi-Arabien einen König gibt, der aber in Wirklichke­it kein absoluter Herrscher ist. Denn der König hat immer versucht, bei allen wichtigen Entscheidu­ngen einen breiten Konsens in der Familie Saud zu finden. Nun hat Mohammed einem Teil der Familie Saud offen den Krieg erklärt – ein absolutes Novum in der Geschichte Saudi-Arabiens.

Mit der politische­n Säuberungs­aktion im eigenen Land geht Mohammed ein sehr hohes Risiko ein. Es könnte sein, dass er sich in einer einzigen Nacht mehr Feinde geschaffen hat, als er besiegen kann.

Die Verhaftung­en sollen die Macht von Kronprinz Salman im eigenen Land festigen

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FOTO: AFP Dieses Bild von Mohammed bin Salman entstand am 24. Oktober 2017 auf einer Konferenz in Riad.

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