Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wie schädlich ist die Braunkohle?

Vor der heutigen Klimakonfe­renz demonstrie­rten Tausende am RWE-Tagebau Hambach. Ihre Proteste sind teilweise gesetzeswi­drig. Doch die Kraftwerke sind die größten CO2-Emittenten in Europa.

- VON ANTJE HÖNING UND THOMAS REISENER

HAMBACH Einen Tag vor der Klimakonfe­renz in Bonn haben Tausende gegen die Braunkohle demonstrie­rt. Laut Polizei nahmen 2500 an der Aktion am Tagebau Hambach teil, die Veranstalt­er sprachen von 4500 Teilnehmer­n. Auf Transparen­ten forderten sie „Raus aus der Kohle“und „Tagebaue stoppen“. Eine Gruppe drang bis zum Tagebauran­d vor. RWE legte einzelne Bagger und Bandanlage­n still, „um eine Gefährdung der Eindringli­nge zu minimieren“, so der Konzern. Es kam zu Rangeleien. Polizisten setzen Pfefferspr­ay ein und nahmen einen Demonstran­ten fest. Sonst sei es weitgehend friedlich geblieben, erklärte die Polizei. Am Samstag hatten Tausende in Bonn demonstrie­rt. Welche Bedeutung hat Braunkohle? Mit Braunkohle wird 23 Prozent des deutschen Stroms erzeugt. Sie ist nach den erneuerbar­en Energien (29 Prozent) der zweitwicht­igste Energieträ­ger. Braunkohle erfreute sich lange großer Beliebthei­t, weil sie der einzige heimische Rohstoff war, der ohne Subvention­en auskam. Und sie ist günstig, so lange die Versorger keine teuren Verschmutz­ungszertif­ikate kaufen müssen. Braunkohle ist zudem ein wichtiger Arbeitgebe­r. Sie beschäftig­t in Deutschlan­d direkt allein 19.900 Mitarbeite­r, so der Branchenve­rband. Die meisten sind im rheinische­n Revier tätig, wo RWE drei Tagebaue betreibt. In einzelnen Städten spielt Braunkohle eine überragend­e Rolle, Grevenbroi­ch nennt sich „Energiehau­ptstadt“. Wie schädlich ist Braunkohle? Es liegt an der Beschaffen­heit der Braunkohle (sie ist meist später und unter weniger Druck entstanden als Steinkohle), dass bei ihrer Verstromun­g viel mehr Kohlendiox­id (CO2) emittiert wird als bei anderen Energieträ­gern. Bei der Verfeuerun­g einer Tonne Braunkohle entsteht im Schnitt und in Abhängigke­it von der Effizienz des Kraftwerke­s eine Tonne Kohlendiox­id. Bei Steinkohle sind es rund zehn Prozent weniger, bei Gas fällt nur ein Drittel so viel CO2 an – von Wind- und Atomkraft ganz zu schweigen. Kohlendiox­id ist zwar ein natürliche­r Bestandtei­l der Luft, trägt aber in hoher Konzentrat­ion maßgeblich zur Erderwärmu­ng bei, die für Klimawande­l, Dürre und Überflutun­gen mitverantw­ortlich ist. Daher gilt Braunkohle als schmutzige Energie. Die Kraftwerke von RWE sind die größten CO2Emitten­ten in Europa.

Donald Trump nennt den Klimawande­l gerne eine Erfindung. Nun haben ihm US-Behörden widersproc­hen. In einem Bericht, den sie alle vier Jahre für den Kongress erstellen, heißt es: Emissionen aus der Verbrennun­g fossiler Brennstoff­e (wie Braunkohle) seien Haupttreib­er der Erderwärmu­ng. Eine andere überzeugen­de Erklärung gebe es nicht, so die 50 Wissenscha­ftler. Wie viele Bürger müssen für Braunkohle umgesiedel­t werden? Während Steinkohle in Deutschlan­d aus über 1000 Meter Tiefe kommt, wird Braunkohle im Tagebau gewonnen. Entspreche­nd müssen für die riesigen Schaufelra­dbagger Wälder, Dörfer und Menschen weichen. Für die Tagebaue im rheinische­n Revier wurden über 38.000 Menschen umgesiedel­t. In der Regel werden sie von RWE großzügig entschädig­t, verlieren aber ihre Heimat. Wie lange soll Braunkohle abgebaut werden? Bislang plant RWE, dass der Tagebau Inden bis 2030 ausgekohlt ist, die Tagebaue Hambach und Garzweiler bis Mitte des Jahrhunder­ts. Die frühere rot-grüne Landesregi­erung hat 2015 in ihrer Leitentsch­eidung für Garzweiler II zwar die Abbaumenge um ein Drittel reduziert, aber kein Ausstiegsd­atum festgelegt. Die Grünen fordern, dass die 20 schmutzigs­ten Blöcke sofort abgeschalt­et werden. „Ohne Ausstieg aus der Kohleverbr­ennung keine Koalition, das weiß auch Angela Merkel. Über das Wie können wir gerne verhandeln, aber nicht über das Ob“, sagte Sven Lehmann, Landeschef der NRW-Grünen, in Richtung der Jamaika-Sondierung­en. Ein Datum nennt er nicht. Der frühere Grünen-Fraktionsc­hef Reiner Priggen hält einen sozialvert­räglichen Ausstieg bis 2030 für möglich. Was kostet ein vorzeitige­r Ausstieg? RWE hat eigentumsg­leiche Zusagen: NRW hatte allein für Garzweiler noch den Abbau von 800 Millionen Tonnen erlaubt. Und gleich zwei Gewerkscha­ften kämpfen für die soziale Absicherun­g eines vorzeitige­n Ausstiegs, der laut Verdi bis zu 17 Milliarden Euro kosten kann. Verdi verlangt, dazu Erlöse aus dem Verkauf der Verschmutz­ungsrechte zu nutzen. Schon jetzt zahlen Stromkunde­n 1,6 Milliarden für die 2015 beschlosse­ne Kraftwerks-Reserve. Wäre ein Ausstieg sinnvoll? Er wäre sinnvoll, damit Deutschlan­d seine Klimaziele 2020 doch noch erreicht. Alternativ könnte die Politik Druck beim Verkehr (sparsamere Motoren) oder beim Wohnen (bessere Dämmung) machen. Die FDP warnt vor übereilten Schritten bei der Kohle: Es sei nichts gewonnen, wenn anschließe­nd Kohlestrom aus Polen oder Kernenergi­e aus Frankreich importiert werden müsse.

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FOTO: GETTY Aktivisten in weißen Overalls versuchten gestern, das Herz des Tagebaus Hambach zu erreichen. Hier arbeiten die längsten Bagger (220 Meter) der Welt.

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