Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Leben von der Barmherzig­keit anderer

Die Legende von Sankt Martin erzählt von der spontanen Bereitscha­ft zu teilen. In der Wohnungslo­senhilfe Café Ausblick erzählen Wohnungslo­se und sozial Benachteil­igte wie es ist, darauf angewiesen zu sein.

- VON LEA HENSEN

NEUSS Mitte November sinken draußen die Temperatur­en – und im Café Ausblick an der Breite Straße ist viel los. Stühle werden gerückt, Suppentell­er geleert, einige Besucher unterhalte­n sich bei Kaffee und Zigarette. Manch einer nutzt die Öffnungsze­iten der Caritas-Einrichtun­g, um zusammenge­kauert auf einem Stuhl ein wenig zu schlafen.

Durch die Straßen klingt derweil das Lied von Sankt Martin, dem „frommen Mann“, der für den Bettler „mit dem Schwerte teilt, den warmen Mantel unverweilt.“Die Legende fordert auf zur spontanen Bereitscha­ft, mit den Armen und Benachteil­igten zu Teilen. Zwischen 40 und 50 Betroffene kommen täglich in das Café. Viele sind zur Zeit wohnungslo­s und übernachte­n in der Notschlafs­telle am Derendorfw­eg. Der Rest ist mindestens schon einmal wohnungslo­s gewesen. In der Tagesstätt­e können sie sich aufwärmen, bekommen günstig zu essen und Unterstütz­ung bei der Wohnungssu­che. Das Leben auf der Straße, angewiesen auf die spontane Güte Fremder, wie sie der Bettler aus dem Martinslie­d erlebt, kennen sie gut.

Harald D. hat sieben Jahre lang auf der Straße gelebt. Mittlerwei­le wohnt der 51-Jährige wieder in einer eigenen Wohnung, für das Martinssin­gen der Neusser Kinder hat er in diesem Jahr sogar Süßigkeite­n eingekauft. Dass das Betteln für ihn selten Option gewesen sei, darauf legt er großen Wert. „Auch wenn ich keine feste Bleibe hatte, habe ich immer versucht, durch Gelegenhei­tsjobs an eigenes Geld zu kommen“, sagt er. Wenn er angewiesen gewesen sei, auf eine Gabe Fremder, habe er sich stets an einen Grundsatz gehalten: „Es kommt darauf an, wie man einander begegnet. Wenn ich höflich um etwas bitte, reagieren die Leute auch höflich auf mich.“

Diese Meinung teilt auch Stefan K. In dem Sommer, den der 41-Jährige auf der Straße verbrachte, habe er zwar auch harsche Reaktionen erlebt. „Geh’ mal arbeiten! Such’ dir einen Wohnung! So etwas hört man immer wieder“, sagt er. Grundsätzl­ich käme es aber darauf an, wie man sich zeigt. „Alkohol trinke ich nicht, immer nur Wasser. Meistens habe ich nach Essen gefragt und nicht nach Geld“, sagt er. Trotzdem sei es auch als Bettler wichtig, Fremden nicht blind zu vertrauen. Eine Gruppe Männer habe ihm einmal einen Schlafplat­z angeboten. „Ich habe das abgelehnt“, erinnert er sich: „Die haben mir auch Geld zugesteckt und waren irgendwie seltsam. Ich hatte ein ungutes Gefühl.“

Abseits von den anderen sitzt Ekehard F. und liest Zeitung. Obdachlos sei er seit unzähligen Jahren, sagt er. Von Dortmund über Düsseldorf bis nach Neuss sei er gezogen, die spontane Hilfsberei­tschaft Fremder habe ihm ein paar Mal das Leben gerettet. „Ich saß mal am Rhein, barfuß, und ein vorbeigehe­nder Mann hat meine Füße gesehen. Er kam zurück, gab mir 50 Euro und bat mich, zum Arzt zu gehen.“Einige Wochen später hätten Fahrgäste in der S-Bahn einen Krankenwag­en gerufen, der ihn ins LukasKrank­enhaus brachte.

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FOTO: A. WOITSCHÜTZ­KE In der Gefährdete­n- und Wohnungslo­senhilfe Café Ausblick an der Breite Straße erhalten sozial Benachteil­igte und Wohnungslo­se von den Mitarbeite­rn Christina Lüngen und Michael Ziegler ein günstiges Essen.
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FOTO: HENSEN Ekehard F. und Stefan K. im Café Ausblick.

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