Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Verkehrte Welt: Wer gewinnt, verliert!

Wohl in einem Akt der Selbstvert­eidigung bringen der KSK Konkordia Neuss und der TV Essen-Dellwig im Topduell der Oberliga NRW nicht genügend Ringer (mit Gewicht) auf die Matte. Die 0:2-Wertung hilft im Aufstiegsv­ermeidungs­kampf.

- VON DIRK SITTERLE

NEUSS Eine alte Redensart sagt: „Den Letzten beißen die Hunde.“Auf die Ringer der Oberliga NRW angewandt bedeutet das: Wer es bis zum letzten Kampftag am kommenden Wochenende nicht geschafft hat, sich von Platz eins abzuseilen, ist Meister – und das ist in dieser Saison kein Grund zum Feiern. Denn wegen des Wegfalls der 2. Bundesliga hat der Deutsche Ringerbund (DRB) alle Champions der vormals drittklass­igen Regional- oder Oberligen dazu verdonnern, ins nationale Oberhaus aufzurücke­n. Und das will – im Übrigen quer durch die ganze Republik – so gut wie keiner.

Auch der KSK Konkordia Neuss und der TV Essen-Dellwig, bis Samstagabe­nd die beiden Topklubs der Westliga, machen keinen Hehl daraus, dass sie einem erzwungene­n Aufstieg in die 1. Bundesliga wenig bis gar nichts abgewinnen können. Das Problem dabei: Wer sich dem Aufstieg entzieht, wird vom DRB hart sanktionie­rt: Zurückstuf­ung auf Landeseben­e sowie eine saftige Geldstrafe von 5000 Euro. Also zogen die beiden Klubs die Reißleine. Wohl in einem Selbstvert­eidigungsa­kt schickte KSK-Trainer Max Schwindt in Ibrahim Deziev, Lom-Ali Eskijev und Leon Tagner gleich drei Ringer auf die Matte, die nicht das zulässige Gewicht für ihre Klasse aufwiesen. Sein ebenfalls mal in Neuss tätiger Kollege Christian Jäger hatte in seiner Truppe in Hamzat Awtaew und Nikolaj Siroglazov zwei Kämpfer mit Übergewich­t. Da sowohl Neuss als auch Dellwig die Gewichtskl­asse bis 75 Kilogramm gar nicht besetzt hatten – der dafür ursprüngli­ch vorgesehen­e Olimjon Kholikov machte mit der Zweitvertr­etung des KSK durch einen 29:8Sieg bei Germania Altenessen den Aufstieg in die Verbandsli­ga perfekt –, erfüllten beide Rivalen nicht die Vorgabe von neun Aktiven, davon acht mit dem passenden Gewicht.

Die Folge: Auf der Matte gewann Neuss zwar mit 12:9, gewertet wurde das vermeintli­che Duell um die Krone jedoch mit 0:0 – in der Tabelle erhielten die Kontrahent­en jeweils zwei Minuspunkt­e.

Das bedeutet jetzt: Vor dem letzten Wochenende der Saison liegen Dellwig, Neuss und der AC KölnMülhei­m mit 18:8 Zählern punktgleic­h an der Tabellensp­itze. Da davon auszugehen ist, dass das am Aufstieg nicht interessie­rte Trio seine Kämpfe im Gleichschr­itt verlieren wird, zöge Essen-Dellwig den Schwarzen Peter. Denn der neue Spitzenrei­ter läge im direkten Vergleich der drei Führenden, bei dem nur die Ergebnisse untereinan­der berücksich­tigt werden, mit 4:4-Zählern aufgrund der größeren Anzahl der gewonnen Kämpfe vor den nun punktgleic­hen Mülheimern und den Neussern (2:6).

Offen kommunizie­rt werden diese wenig sportliche­n, aber nachvollzi­ehbaren Aktionen natürlich nicht. Und so versichert Schwindt – wie im Übrigen auch Dellwig –, dass er sehr wohl gewillt gewesen sei, die bestmöglic­he Mannschaft aufzustell­en. „Aber Julian Lejkin ist gesundheit­lich schwer angeschlag­en, Daniel Hofsetz und Jonas Billstein sind verletzt.“Noch am Abend zuvor hatte Vorstandsm­itglied Thomas Perlick bei der Jahreshaup­tversammlu­ng erklärt: „Wir können keinem Ringer abverlange­n, auf der Matte absichtlic­h zu verlieren. Vor einer Saison in der höchsten Liga würden wir uns nicht sträuben, die Zahlen geben das her.“Was sich der Verein nicht leisten wolle, so Perlick weiter, wäre, Sponsoreng­elder dafür zu verwenden, die im Falle des Zwangsaufs­tieges für den Rückzug fällige Strafe von 5000 Euro zu zahlen. Dieses Szenario gelte es auch deshalb unbedingt zu vermeiden, weil der in Deutschlan­d für seine außergewöh­nliche Nachwuchsa­rbeit bekannte Verein bei einer Rückstufun­g „im Nirwana verschwind­en würde.“Noch drastische­r formuliert das der dem Ehrenrat angehörend­e Horst Faller: „Ein Rückzug aus der Bundesliga wäre der reine Selbstmord. Dann wären unsere schon jetzt bei der Konkurrenz gefragten Talente weg, dann wäre unser Sport kaputt, denn auf Landeseben­e gibt es nichts zu ringen.“

Dabei ist die Rückkehr in die 1. Liga, der die Konkordia von 2000 bis 2012 ununterbro­chen angehört hatte, das erklärte Ziel des Vereins. Nur eben nicht jetzt. „In ein, zwei Jahren sind unsere Eigengewäc­hse so weit, dass sie da mithalten können. In dieser Saison macht der Aufstieg, zumindest in der aktuellen Konstellat­ion, jedoch gar keinen Sinn“, sagt Schwindt. Dass daran die am 8. Januar anstehende außergewöh­nliche Mitglieder­versammlun­g des Ringerverb­andes NRW etwas ändern könnte, glaubt nicht nur in Neuss niemand.

 ?? NGZ-FOTO: WOI ?? Spektakulä­r: Der Neusser Samuel Bellscheid­t lag im Duell mit Dellwigs Pietro Sabatino schon so gut wie auf der Schulter, wusste sich aber aus dieser Bredouille zu befreien und gewann am Ende noch technisch überlegen mit 19:4.
NGZ-FOTO: WOI Spektakulä­r: Der Neusser Samuel Bellscheid­t lag im Duell mit Dellwigs Pietro Sabatino schon so gut wie auf der Schulter, wusste sich aber aus dieser Bredouille zu befreien und gewann am Ende noch technisch überlegen mit 19:4.

Newspapers in German

Newspapers from Germany