Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Der kleine Unterschied
BERLIN Es fängt bei den Mädchen an. Der hellblaue Hüpfball mit der schönen Eiskönigin kostet einen Euro mehr als der knallrote Ball für die Jungen mit einem Rennauto und der Überschrift „Champion“. Das rote Bobbycar ist vier Euro billiger als das gleiche Modell in Rosa. Und es bleibt absurd: Rasierklingen für Frauen in rosafarbener Folie kosten 60 Cent mehr als die typengleichen Rasierklingen in blauer Verpackung für den Mann. Geben Frauen eine Bluse in die Textilreinigung, zahlen sie dafür im Schnitt 1,80 Euro mehr als wenn Männer ihr Hemd abgeben. Und beim Friseur müssen Frauen für einen Kurzhaarschnitt durchschnittlich gar 12,50 Euro mehr berappen als Männer.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat gestern in Berlin die bundesweit erste Studie zur „Preisdifferenzierung nach Geschlecht in Deutschland“vorgelegt und dieses Fazit gezogen: Frauen müssen vor allem für Dienstleistungen oft mehr Geld bezahlen als Männer. 59 Prozent aller untersuchten vergleichbaren 381 Dienstleistungen weisen demnach geschlechtsspezifische Preisunterschiede auf. Behördenleiterin Christine Lüders mahnt: „Wenn eine Person allein wegen ihres Geschlechts mehr zahlen muss, dann verstößt das im Grundsatz gegen das Diskriminierungsverbot.“Die Traditionen von der Dauerwelle für die Dame und dem schlichten Kurzhaarschnitt für den Herrn seien überholt. Man solle sich doch nur mal das lange Haar des Grünen-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Toni Hofreiter anschauen oder den Kopfschmuck des Fußballspielers Pierre-Emerick Aubameyang von Borussia Dortmund.
Aber was bedeutet das nun? Stehen Friseure nach der Veröffentlichung dieser Studie jetzt mit einem Bein vor Gericht, weil sie Frauen durch höhere Preise für eine Kurzhaarfrisur diskriminieren? Lüders winkt ab: „Wir unterstel- len niemandem, dass er Kundinnen vorsätzlich diskriminieren möchte.“Die Antidiskriminierungsstelle wünsche sich aber ein stärkeres Bewusstsein, dass es sich um eine Benachteiligung handelt. Lüders sagt: „Wir empfehlen, nicht zu klagen. Wir appellieren aber an die Sensibilität von Innungen, Branchen und Verbraucherinnen und Verbrauchern.“Viele Frauen wüssten gar nicht, dass das Leben in einigen Bereichen für sie teurer ist, nur weil sie Frauen sind. Mit gutem Beispiel gehe Österreich voran, wo die Friseurinnung gemeinsam mit der Gleichbehandlungsanwaltschaft ein Muster für geschlechtsneutrale Preislisten erarbeitet habe.
Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des deutschen Friseurhandwerks, Jörg Müller, ist ein bisschen perplex ob des Fazits der Studie, durch die seine Branche – ob gewollt oder ungewollt – in Zusammenhang mit Diskriminierung von Frauen gebracht werde. Sein Verband habe an der Studie selbst mitgewirkt, betont Müller. Er empfiehlt den Friseuren, die Preise transparent zu gestalten und zu erklären, warum eine Leistung für Frauen in der Regel teurer ist. „Generell fragen Frauen beim Friseur mehr Service nach. Und bei Damen ist der Haarschnitt aufwendiger und deshalb teurer“, sagt Müller. „Wenn Frauen wirklich nur einen Herren-Haarschnitt brauchen, bei dem trocken geschnitten werden kann, sollen sie das ansprechen.“Dann könne der Preis reduziert werden.
Das bestätigt auch die Berliner Friseurmeisterin Stefanie Speer. Sie gibt aber auch Lüders recht, dass sich die höheren Preise für Frauen womöglich noch aus einstigen Traditionen wie der Dauerwelle speisen. Sie warnt jedoch davor, einen Haarschnitt wie eine „Mathematikaufgabe“zu berechnen. Wenn es ganz gerecht zugehen solle, müsste nach Minuten abgerechnet werden. Das würde aber den ganzen Friseurbesuch qualitativ verändern.
„Wir appellieren an die Sensibilität von Innungen, Branchen und Verbrauchern“
Christine Lüders
Leiterin der Antidiskriminierungsstelle