Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sechs Top-Klubs haben sich in einem „wilden“Zusammensc­hluss vom Deutschen Ringerbund losgesagt

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Dass Ibrahim Deziev, Lom-Ali Eskijev und Leon Tagner auf Neusser sowie Hamzat Awtaew und Nikolaj Siroglazov auf Seiten der Gäste mit ein bisschen zu viel Speck auf den Hüften auf die Waage traten, löste bei ihren Trainern Max Schwindt und Christian Jäger nicht einmal Schulterzu­cken aus. Um ganz sicher zu gehen, ließen die beiden ehemaligen Erstliga-Ringer die Gewichtskl­asse bis 75 Kilogramm sogar unbesetzt. Schließlic­h stand „Verlieren“auf der Tagesordnu­ng der Vereine ganz oben, denn die Klubs wollen alles – nur nicht aufsteigen.

Was kurios anmutet, gehörte in der gerade zu Ende gegangenen Saison auf den Matten des Deutschen Ringerbund­es (DRB) beinahe zum Alltag. Zumindest in der Oberliga. Denn die eigentlich drittklass­igen Staffeln wurde vom DRB im Sommer per Dekret zum Unterbau der in drei regionale Gruppen aufgeteilt­en Bundesliga befördert. Die Zweite Liga wurde abgeschaff­t. Schuld daran, so zumindest die Sichtweise des Verbandes, sind sechs seiner Top-Klubs, darunter die einstigen Branchenfü­hrer VfK Schifferst­adt und SV Weingarten. Sie hatten sich vom DRB losgesagt und eine eigene „Deutsche Ringerliga“( DRL) gegründet. Aus sportrecht­licher Sicht ein „wilder“Zusammensc­hluss ohne Anerkennun­g zum Beispiel des Deutschen Olympische­n Sportbunde­s (DOSB).

Der Austritt der Branchengr­ößen – so verkauft es der DRB gerne – hat weitreiche­nde Folgen für die unterm Verbandsda­ch verblieben­en Vereine. Vor allem die in der Oberli- ga. Er unterschlä­gt dabei großzügig, dass die Abschaffun­g der Zweiten Liga bereits beschlosse­ne Sache war, als die Vereine nicht mit dem Wechsel in die Selbststän­digkeit gedroht hatten.

Das Ringen in Deutschlan­d ist in den vergangene­n Jahren nicht gerade eine Erfolgsges­chichte gewesen. Es ist ein Sport in der Nische mit den damit verbundene­n finanziell­en Zwängen. Um in der Bundesliga mitschwimm­en zu können, braucht man 150.000 Euro, wer um den Titel ringen will, muss ab 200.000 Euro aufwärts einsetzen. Es ist ein schwierige­s Geschäft. Die Saison ist kurz und dauert nur von September bis Januar. Es ist ein sehr regionaler Sport, der über den Standort hinaus nicht strahlt. Jene sechs Vereine, die sich schließlic­h für die Abspaltung entschiede­n, hatten den DRB über Jahre zu Reformen aufgeforde­rt.

Doch die Verbandssp­itze war maximal zu Reförmchen bereit – eine Frage unserer Redaktion blieb gestern unbeantwor­tet. Zuletzt ver- suchte man die Wogen zu glätten, indem ein Bundesliga­ausschuss gegründet wurde mit der Stimmenver­teilung fünf für den Verband und nur vier für die Vereine. „Es wurde immer wieder versucht, Lösungen zu finden. Der DRB arbeitet aber einfach an der Lebenswirk­lichkeit seiner Klubs vollkommen vorbei“, sagt Svent Metzger, Sprecher der DRL. „Wir streben weiter eine Einigung mit dem DRB an, aber es muss Gespräche auf Augenhöhe geben, sonst hat das alles keinen Sinn.“

Nun hat sich der DRB eine weitere Neuerung ausgedacht, mit der er viele Klubs erzürnt. Denn wer Meister wird, muss aufsteigen – und damit quasi eine Klasse überspring­en. Tut er es nicht, drohen 5000-EuroGeldst­rafe und die Zwangsvers­etzung in die Landes- oder Bezirkslig­a. Doch aufsteigen möchte, zumindest im Westen, keiner.

Und so konnte man ein engagierte­s Wettrennen um den letzten Platz beobachten. Weder der TV EssenDellw­ig, noch der KSK Konkordia Neuss oder der bis zum letzten Kampftag mit ihnen punktgleic­he AC Köln-Mülheim wollten gewinnen. Alle drei gehörten jahrelang zum festen Inventar der Ersten Liga, alle drei haben sich vor einiger Zeit aus guten, meist finanziell­en Gründen aus ihr zurückgezo­gen. Und anders als im Fußball, „wo im Falle ei-

„In ein, zwei Jahren sind unsere Eigengewäc­hse so weit, dass sie in der Bundesliga mithalten können“, ist Max Schwindt, als Aktiver dreifacher Junioren-Weltmeiste­r, überzeugt, „in dieser Saison macht der Aufstieg, zumindest in der aktuellen Konstellat­ion, jedoch keinen Sinn.“Denn wie in der Vergangenh­eit Ringer vornehmlic­h aus dem Osten Europas zu den Kämpfen einfliegen zu lassen, das möchten sie in Neuss nicht mehr.

Der Kampf – auf der Matte siegte Konkordia mit 12:9 – wurde vom Verband mit 0:0 und zwei Minuspunkt­en für die Klubs gewertet. Also verloren Neuss und Köln-Mülheim am letzten Kampftag noch einmal „an der Waage“, Essen wurde Meister. Nimmt der Verein sein Aufstiegsr­echt nicht wahr, „droht“Neuss als Vize der Sprung in die Bundesliga. Verzichtet auch der KSK, droht der Verein „im Nirwana zu verschwind­en“, sagt Vorstandsm­itglied Thomas Perlick. Denn die Talente würden dann bei anderen Klubs anheuern.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf die außerorden­tliche Mitglieder­versammlun­g des Ringerverb­andes NRW am 8. Januar, auch wenn der zugibt, in Sachen Aufstiegsp­flicht „in keiner Form“eingreifen zu können. Oder auf die DRL. Denn die denkt laut darüber nach, die Gründung einer eigenen „DRL - die Zweite Liga“einzuleite­n.

Es bleibt spannend im deutschen Ringen – wenn auch nur außerhalb der Matte.

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