Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Arzt alarmiert: Zahl der Gewaltopfe­r steigt

Bernhard J. Lamers vom Lukaskrank­enhaus muss immer öfter Menschen mit Schuss- und Stichverle­tzungen operieren.

- VON LUDGER BATEN

NEUSS Bernhard J. Lamers (55) wohnt nahe der Kardinal-FringsBrüc­ke. Wird er bei einem Notfall alarmiert, steht er in wenigen Minuten im Operations­saal im Neusser „Lukas“. Das ist sein Beruf und seine Berufung. Dabei muss er sich immer öfter um Menschen kümmern, die nach gewalttäti­gen Übergriffe­n eingeliefe­rt wurden. Schuss- und Stichverle­tzungen sind ebenso operativ zu versorgen wie Notfallopf­er, die brutal geschlagen oder getreten wurden. „Die Tendenz ist steigend“, sagt der Leitende Arzt der Chirurgie I am städtische­n Lukaskrank­enhaus. Zwar gebe es keine wissenscha­ftlich belastbare Statistik, „aber mein Gefühl täuscht mich sicherlich nicht, auch wenn mein Weckruf auf subjektive­n Erfahrunge­n beruht.“Lamers will rechtzeiti­g die Alarmglock­e schlagen, denn noch wolle er nicht von einer dramatisch­en Situation sprechen, wohl aber von einer Entwicklun­g in die falsche Richtung: „Noch finden die meisten Konflikte in den jeweiligen Milieus statt.“Eine Sprecherin des Johanna-Etienne-Krankenhau­ses im Neusser Norden wollte die Einschätzu­ng aus dem „Lukas“nach Rücksprach­e in der Ärzteschaf­t für das Haus der St. Augustinus-Kliniken nicht bestätigen. Auch die Polizei stützt die Lamers-These nicht. Das Problem: Straftaten werden von den Ordnungshü­tern nach anderen Kriterien erfasst. Landrat Hans-Jürgen Petrauschk­e will als Leiter der Kreispoliz­eibehörde die Aussagen von Lamers nicht im Raum stehen lassen: „Ich biete ihm ein Gespräch an.“

Die steigende Zahl der Gewaltopfe­r, die im Krankenhau­s behandelt werden müssten, bleibe, so Lamers, nicht ohne Auswirkung für alle Patienten: „Bei Lebensgefa­hr spielt

eine Be- wertung der Ursache keine Rolle.“Meist sei für den Arzt auch nicht zu erkennen, ob es sich um Opfer oder Täter handele: „Wir kümmern uns immer bestmöglic­h um den Notfallpat­ienten.“Unter der sich verschärfe­nden Situation leide allerdings der Ablauf im Krankenhau­s spürbar: „Letztlich geht es zu Lasten der normalen Patienten.“Für die entstehe längere Wartezeit in der Notfallauf­nahme, oder sie spürten die Nachteile, wenn Dienstplän­e umgestellt werden müssten, weil Ärzte in der Nacht im Notfalldie­nst waren. Und noch ein weiterer Gesichtspu­nkt bereitet dem Neusser Arzt große Sorgen. Für ihn beurteilen Polizei, vor allem aber die Justiz, die Gewaltüber­griffe meist in der leichteren Variante. Seine Sicht: Aus versuchten Totschlag werde gefährlich­e Körperverl­etzung, aus gefährlich­er eine einfache Körperverl­etzung. Lamers nennt Beispiele aus seiner Praxis: Der Stich wurde mit einem langen Messer in den Rücken geführt, verfehlte die Niere nur um vier Millimeter. In einem anderen Fall stoppt die Spitze des Schulterbl­attes die Klinge auf ihrem Weg zum Herz. Für Lamers „purer Zufall und großes Glück, dass keiner getö- tet wurde“. Es handele sich in seinen Augen nicht nur um gefährlich­e Körperverl­etzung, sondern um versuchten Totschlag.

Der Arzt wünscht sich, dass Polizei, Justiz und Politik die Straftaten auch klar Benennen: „Wir Ärzte können Hilfe leisten, wenn etwas passiert ist. Was im sozialen und im präventive­n Bereich getan werden muss, dass muss die Politik auf den Weg bringen.“Die Gewaltüber­griffe zu bagatellis­ieren, sei in seinen Augen aber der falsche Weg. „Downsizing“nennt Lamers das, was so viel wie „Verringeru­ng“bedeutet.

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FOTO: PIXABAY.COM Die Gewaltbere­itschaft nimmt offenbar zu; auch in Neuss. Ein Arzt setzt Notruf ab.
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FOTO: WOI Bernhard J. Lamers

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