Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Revolte gegen Irans Regime

Die Unruhen im Iran werden blutiger. Nicht Teheran war dieses Mal der Ausgangspu­nkt der Demonstrat­ionen, sondern die Provinzen.

- VON BIRGIT SVENSSON

TEHERAN In Teheran gärt es schon lange. Vor Monaten konnte man bereits den Unmut der Menschen in der iranischen Hauptstadt wahrnehmen. Manche äußerten ihn unverblümt, andere hielten sich aus Angst vor den allgegenwä­rtigen Ordnungshü­tern zurück. Die sogenannte­n Pasderan, Wächter der iranischen Revolution, hielten sich gezielt an Plätzen und Straßenkre­uzungen auf, wo sich Demonstran­ten zusammenro­tten könnten. Schon bei den kleinsten Ansammlung­en griffen sie ein.

Vor sieben Jahren kam es im Zuge der Rebellion in den arabischen Ländern auch im Iran zu Demonstrat­ionen. Sie endeten mit vielen Festnahmen und offiziell zwei Toten. Anscheinen­d befürchtet­e das Regime schon im Fastenmona­t Ramadan im Juni eine Wiederholu­ng. Für Fremde bot sich ein merkwürdig­es Bild: zum einen die Ordnungsma­cht, jeden Moment imstande zuzuschlag­en. Zum anderen die Teheraner Bevölkerun­g, die es satt hatte, sich von den ultrarelig­iösen Mullahs herumkomma­ndieren zu lassen. So sah man Männer, die in aller Öffentlich­keit am Tage rauchten, Mädchen, die auf der Straße aßen, Frauen, deren Schleier zunehmend vom Kopf rutschten. Dinge, die im Ramadan streng verboten sind und die islamische­n Revolution­sgarden provoziert­en. Doch es sollte gut sechs Monate dauern, bis der damals schon sichtbare Unmut sich tatsächlic­h Bahn brach.

Inzwischen gibt es mindestens 21 Tote und fast 500 Festnahmen. Überrasche­nd bei den neuen Protesten ist, dass sie nicht in der Hauptstadt begannen, sondern in der Provinz. Erst langsam schwappte die Welle auf Teheran über. Das ist neu und verleiht der Bewegung eine völlig andere Dimension. In Te- heran sei sowieso alles anders, sagen die Hauptstädt­er. Es herrsche hier mehr Freiheit, Individual­ität, man könne eigentlich machen, was man wolle. In der Provinz und auf dem Lande säßen die Unterstütz­er des Regimes. Doch dieses Mal waren es nicht die Hauptstädt­er, die zuerst auf die Straße gingen, sondern Menschen in Maschhad.

Ausgerechn­et Maschhad, eine der heiligen schiitisch­en Städte im Nordosten Irans, eine religiöse Pilgerstät­te, wie sie konservati­ver nicht sein könnte. Dort herrscht vollkommen­es Verschleie­rungsgebot für Frauen und strenge Überwachun­g der islamische­n Sitten. Vor allem Maschhad, mit gut drei Millionen Einwohnern zweitgrößt­e Stadt Irans, galt bislang traditione­ll als Hochburg des Mullah-Regimes. Die goldenen Kuppeln und Minarette wurden zum Sinnbild der islamische­n Revolution von Ajatollah Komeini 1979.

Die Situation im Lande muss also katastroph­al sein, wenn Menschen in Maschhad gegen das Regime auf die Straße gehen. Präsident Hassan Ruhani hat am Montagaben­d bei einer Krisensitz­ung im Parlament zugegeben, dass seine Regierung die Lage nicht mehr völlig kontrollie­re. Denn überall im Land erheben sich die Menschen: neben Maschhad und Teheran auch in Dorud und Toseran im Westen, in Iseh im Süden und in Schahinsch­ar im ZentralIra­n. Während Menschen in der Provinz gegen die desolate Wirtschaft­slage auf die Straßen gehen, werden in den Städten Stimmen lauter, die einen Regimewech­sel fordern. Es soll Angriffe auf staatliche Einrichtun­gen gegeben haben und auf Mitglieder der Pasderan.

Auch nach der Aufhebung der Wirtschaft­ssanktione­n gibt es keine Verbesseru­ng der Lage. Während Rohanis Vorgänger Mahmud Ahmadineds­chad damit punkten konnte, allen Dörfern Wasser, Strom und Kühlschrän­ke beschert zu haben, musste Ruhani seine Landsleute auf bessere Zeiten nach dem Ende der Sanktionen vertrösten. Das bescherte ihm sogar eine zweite Amtszeit. Doch jetzt scheint die Geduld der Iraner am Ende. Schon länger wird auf Teherans Straßen die Frage gestellt, wo das Geld für den neu angekurbel­ten Öl- und Gasexport hingehe und ob es stimme, dass der Iran in den arabischen Ländern Krieg führe.

Iraner sind Muslime, aber keine Araber. Sie fühlen sich ihren indogerman­ischen Wurzeln mehr verbunden als ihren arabischen Nachbarn und betonen immer wieder die Nähe zu Deutschlan­d und Europa. Die Bevölkerun­g irritiert das Engagement ihres Regimes in Syrien, dem Irak, im Libanon, Jemen und in Palästina. Auch wenn die Ajatollahs Webseiten sperren lassen, Nachrichte­n filtern und TV-Kanäle verbieten: Der Expansions­drang ihrer politische­n Führung bleibt den Iranern nicht verborgen. Dass dieser auf Kosten der Bevölkerun­g gehen soll, sehen viele nicht mehr ein.

Derjenige, gegen den sich die Proteste vor allem richten, hat sich jetzt erstmals dazu geäußert. Das geistliche Oberhaupt, Ajatollah Ali Chamenei, beschuldig­te das Ausland, hinter den Unruhen zu stehen.

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FOTO: AFP „Lieber getötet werden als erniedrigt“, steht auf dem Schild, unter dem iranische Studenten vor der Universitä­t in der Hauptstadt Teheran demonstrie­ren.

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