Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Elf Impfungen sind Pflicht für Kinder in Frankreich

Das Nachbarlan­d hat die Impfpflich­t deutlich ausgeweite­t. Damit reagiert die Regierung auf wachsende Skepsis in der Bevölkerun­g.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Das Thema war so wichtig, dass Edouard Philippe es sogar in seiner ersten Regierungs­erklärung erwähnte: „Kinder sterben heutzutage in Frankreich an Masern. Im Heimatland von Pasteur ist das nicht hinnehmbar“, hatte der Premiermin­ister am 4. Juli vor der Nationalve­rsammlung gesagt. Genau deshalb erhöhte die Regierung zum 1. Januar die Zahl der Pflichtimp­fungen für Neugeboren­e von drei auf elf. Nach Kinderlähm­ung, Tetanus und Diphtherie müssen Babys künftig auch gegen Masern, Mumps, Röteln, Hepatitis B, Keuchhuste­n, Meningokok­ken, Hämophilus Influenza B und Pneumokokk­en geimpft werden. Wer die Piekser nicht aufweist, darf nicht in die Krippe, den Kindergart­en oder die Schule gehen.

Die deutliche Ausweitung der Impfpflich­t ist die Reaktion auf eine Masernepid­emie, die in den vergangene­n Jahren das Land erfasste. Im Frühjahr 2017 wurden 189 Masern- fälle gezählt – viermal so viele wie 2016. „Frankreich ist nicht vor einer neuen, großen Epidemie gefeit, wie sie derzeit in einigen europäisch­en Ländern, vor allem Rumänien, herrscht“, warnte die staatliche Gesundheit­sbehörde. Sie zählte zwischen 2008 und 2016 insgesamt 24.000 Masern-Kranke, von denen rund 1500 Lungenkran­kheiten bekamen und zehn starben.

„Unerträgli­ch“fand das Gesundheit­sministeri­n Agnès Buzyn, eine Ärztin und anerkannte Krebsspezi­a- listin. Sie kämpft mit der Ausweitung der Impfpflich­t allerdings gegen große Vorurteile in der Bevölkerun­g, denn laut einer 2016 veröffentl­ichten Statistik der Zeitschrif­t „EBioMedici­ne“ist Frankreich das Land, in dem das Misstrauen gegen Impfungen am größten ist. 41 Prozent der Franzosen halten die „Vaccins“für nicht sicher. Der Grund: Schlecht geführte Impf-Kampagnen wie gegen Hepatitis B oder die Schweinegr­ippe sowie Medikament­enskandale wie um das Diabetes- Medikament Mediator. In den vergangene­n Jahren stieg deshalb die Zahl der Impfgegner deutlich: nachdem ihr Anteil im Jahr 2000 noch bei 8,5 Prozent lag, waren es 2016 fast 25 Prozent. Die elf Pflichtimp­fungen stoßen laut einer Umfrage der Zeitung „Figaro“bei der Hälfte der Franzosen auf Widerstand.

Gegen diese Kritik setzt die Medizineri­n Buzyn auf Rationalit­ät: „Jenseits der Impfung geht es um eine grundlegen­de Sache: der Vernunft wieder zu Glaubwürdi­gkeit zu ver- helfen, dem wissenscha­ftlichen Diskurs wieder seinen Sinn zu geben und gegen eine Art des Obskuranti­smus zu kämpfen“, begründete sie ihr Engagement für einen besseren Impfschutz. Um beispielsw­eise eine Masern-Epidemie zu verhindern, müssen mindestens 95 Prozent der Bevölkerun­g geimpft sein. In Frankreich sind es der Zeitung „Le Monde“zufolge nur 79 Prozent der Schulanfän­ger – im Vergleich zu 93 Prozent in Deutschlan­d, wo es keine Impfpflich­t gibt.

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