Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fatih der Flieger

Beinbrüche und mehrere Warnungen seiner Mutter konnten ihn nicht aufhalten. Nun nimmt Fatih Arda Ipcioglu als erster Türke an der Vierschanz­en-Tournee teil. Ein nächster „Eddie the Eagle“ist der 20-Jährige aber nicht.

- VON MARKUS PLÜM

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN Ein wenig erinnert die Geschichte von Fatih Arda Ipcioglu an die von „Eddie the Eagle“– den charismati­schen, aber stets chancenlos­en Skispringe­r. Der Engländer nahm als erster britischer Skispringe­r an Olympische­n Winterspie­len teil. Im kanadische­n Calgary avancierte er 1988 sogleich zum Publikumsl­iebling – allerdings nicht aufgrund seiner sportliche­n Resultate. Er sprang der Konkurrenz stets deutlich hinterher.

Der 20-jährige Türke Ipcioglu ist in der Sportart ebenso ein Exot, hat dem Briten allerdings schon in diesen jungen Jahren etwas voraus: die Teilnahme an der Vierschanz­enTournee. Damit hat Ipcioglu Geschichte geschriebe­n, denn er ist der erste Türke, der sich in Oberstdorf und Garmisch-Partenkirc­hen in die Tiefe stürzen durfte.

Entspreche­nd groß war auch das Interesse an seiner Person. Obwohl er in der Qualifikat­ion nur die Plätze 64 und 66 bei 67 Teilnehmer­n belegte, musste Ipcioglu in den Mixed Zones etliche Fragen zu seiner Herkunft, seiner Geschichte und seiner Zukunft beantworte­n. „Es fühlt sich großar

tig an, hier zu sein. Ich liebe die Atmosphäre“, sagte er.

Ipcioglu ist derweil nicht irgendein chancenlos­er Außenseite­r, sondern ein vielverspr­echendes Talent. Mit seinen Sätzen auf 94 und 104,5 Meter lag er zwar immer noch jeweils rund 30 Meter hinter den Qualifikat­ionssieger­n Richard Freitag (Oberstdorf) und Johann Andre Forfang (Garmisch), reihte sich letztlich aber nur knapp hinter Konkurrent­en wie den deutschen Talenten Tim Fuchs und Martin Hamann ein. So völlig chancenlos wie „Eddie the Eagle“seinerzeit war der Türke in den vergangene­n Tagen also nicht.

Die Tournee ist nach den beiden Stationen in Deutschlan­d für Ipcioglu dennoch beendet, das Skisprung-Talent wird nicht bei den übrigen beiden Wettkämpfe­n in Innsbruck und Bischofsho­fen antreten. „Wir haben andere Pläne, das habe ich mit meinem Trainer be

sprochen“, sagte Ipcioglu. Stattdesse­n geht es für ihn im Continenta­l Cup, der zweiten Skisprung-Liga, in Titisee-Neustadt weiter.

Denn für seinen großen Traum, die Teilnahme an den diesjährig­en Winterspie­len im koreanisch­en Pyeongchan­g, braucht er weitere Qualifikat­ions-Punkte. Bei der Vierschanz­en-Tournee zählte für den Ski-Exoten daher zunächst das Er- lebnis. „Ich bin stolz, dass ich der erste türkische Skispringe­r hier sein darf“, berichtet Ipcioglu. Bis dahin war es für ihn ein langer und beschwerli­cher Weg – auch wenn er in seiner türkischen Heimat Erzurum, einer Großstadt in Ostanatoli­en, inzwischen optimale Trainingsb­edingungen vorfindet. Für die WinterUniv­ersiade 2011 wurde dort ein hochmodern­er SkisprungK­omplex mit fünf verschiede­nen Schanzen errich

tet. Der Weg dorthin lag also nah, auch wenn Ipcioglus Eltern zu- nächst protestier­ten. „Sie haben gesagt: Geh da nicht hin, das kannst du nicht machen“, erzählte er. Dennoch saß er im Jahr 2008 – ein Jahr, nachdem der damalige türkische Rekordhalt­er Baris Demirci seine Karriere beendet hatte – als Elfjährige­r erstmals auf dem Balken und übte unaufhalts­am. „Als ich mir vor vier oder fünf Jahren die Beine gebrochen habe, hat meine Mutter gesagt: Hör auf. Aber ich habe weitergema­cht.“Mit Erfolg. Im Dezember 2016 holte Ipcioglu als erster Türke Punkte im Continenta­l Cup, erreichte später auf seiner Heimschanz­e sogar zweimal den zwölften Platz. Zur Belohnung fuhr er im Februar 2017 zur WM nach Lahti, wo er die Ränge 43 und 44 belegte. „Ich bin stolz auf mich, mein Land und das, was ich erreicht habe“, sagt Ipcioglu heute. Noch gibt es in der Türkei nur wenige Verrückte, die den Sport ernsthaft betreiben. „Zur Zeit sind wir sechs Springer, die internatio­nal dabei sind. Aber es gibt 20 oder 30 Kinder, die immer besser werden“, sagt der 20-Jährige, der sich als eine Art Pionier sieht. „In der Türkei ist Skispringe­n eine Randsporta­rt, klar. Aber wir bauen etwas für die Zukunft auf“, sagt er. Sein Idol Bulgarien Griechenla­nd Bei der Tournee 2013/14 startete der gebürtige Bremer Nicolas Polychroni­dis für Griechenla­nd – vorher sprang er für den deutschen Verband. Spanien Seinen ersten Weltcup sprang Bernat Sola am 30. Dezember 1983 in Oberstdorf zum Auftakt der Tournee 1983/84. Er blieb jedoch in allen Springen erfolglos und landete nur auf den hinteren Plätzen. ist der Japaner Noriaki Kasai, der sich mit 45 Jahren noch immer die Schanzen hinunterst­ürzt. In 20 Jahren, wenn er in dieses Alter kommt, möchte Ipcioglu nicht mehr aktiv mitmischen. „Dann werden bei der Tournee viel mehr türkische Skispringe­r sein als heute. Und ich schaue mir das dann bequem vor dem Fernseher an“, sagt er.

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FOTO: DPA Fatih Arda Ipcioglu.

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